Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 187

O grave where is thy Victory Deutsche Buddhisten (Toorop, JanThomassin, Carl von)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 187

Text

DEUTSCHE BUDDHISTEN.
Von CARL v. THOMASSIN (München).

Das Interesse für die indische Religions-
Philosophie hat in den letzten Jahrzehnten
in den Ländern des europäischen Cultur-
kreises in unerwarteter Weise zugenommen.
Einerseits haben hervorragende Gelehrte,
wie Prof. Max Müller, Rhys-Davis,
Prof. Denssen, Oldenberg, dieselbe vom
Standpunkte der vergleichenden Religions-
wissenschaft aus in Betracht gezogen und
durch Übersetzung der »heiligen Bücher
des Ostens« weiteren Kreisen die Quellen
der Weisheit des Ostens zugänglich ge-
macht, andererseits haben verschiedene
begeisterte Verehrer des Buddhismus für
denselben zur religiösen Regeneration Pro-
paganda zu machen gesucht.

In den Ländern deutscher Zunge, wo
bereits das Interesse weiter Kreise durch
die Schopenhauer’sche Philosophie ge-
wonnen war, hat diese Propaganda in
letzterer Zeit, neben den bekannten Ver-
tretern der Theosophie, welche wir noch
näher berücksichtigen werden, insbesondere
der im Vorjahre verstorbene Ober-Präsidial-
rath Theodor Schultze* als literarischer
Vorkämpfer einer reformierten »buddhisti-
schen Weltreligion« übernommen. Über
dessen Leben und Wirken hat uns vor
kurzem sein Freund Dr. Arthur Pfungst
in einer Schrift, betitelt »Ein deutscher
Buddhist, ** interessante neue Aufklärungen
geboten. Aus denselben geht zunächst
die bemerkenswerte Thatsache hervor,
dass Schultze wirklich auch »lebte, was
er lehrte«, d. h. dass er sein ganzes Leben,
soweit es sein Beruf gestattete, so einfach
und abgekehrt vom irdischen Treiben ver-
brachte wie ein buddhistischer Bikshu.
Erst spät wandte sich, wie wir hören,
der (am 22. Juni 1824 geborene) pflicht-
eifrige Beamte der Schriftstellerei zu, um
seine innerste Überzeugung kundzugeben.

Im Jahre 1885 publicierte er zunächst
eine Übersetzung des »Dhamma pada«, das
bekanntlich als eine der wichtigsten Quellen
der buddhistischen Ethik betrachtet wird.
Sodann ließ er im Jahre 1891 zwei viel
besprochene Schriften erscheinen unter
den Titeln: »Das Christenthum Christi
und die Religion der Liebe, ein Votum
in Sachen der Zukunftsreligion« und »Das
rollende Rad des Lebens und der feste
Ruhestand« (Samsara und Nirwana). Die-
selben vereinigte er später zu einem Buche,
betitelt »Vedânta und Buddhismus als Fer-
mente für eine künftige Regeneration des
religiösen Bewusstseins innerhalb des euro-
päischen Culturkreises.*** Im ersten Theile
desselben tritt Schultze dem kirchlich-
dogmatischen Christenthum vom Stand-
punkte der modernen rationalistischen
Kritik aus entgegen, verdammt aber auch
entschieden die modernen Versuche einer
Ausbesserung desselben. Er ist der Ansicht,
dass »die Hauptrichtung, in der sich letztere
bewegen, nicht zum Ziele einer religiösen
Regeneration führen könne; das Bemühen,
auf Grund irgendwelchen Titels den Namen
des Christenthums für den eigenen reli-
giösen Standpunkt festzuhalten, wie es
z. B. in der Predigt des sogenannten
Christenthums Christi oder bei der Auf-
fassung des vordogmatischen Christenthums
als Religion der Liebe zutage tritt«,
hält er für entschieden verwerflich. Er
geht in seiner Polemik gegen die christ-
lichen Ideen so weit, dass er alle ruhigeren
Geister von vorneherein abstoßen muss,
und will z. B. das Christenthum überhaupt
nicht als culturellen Factor in Betracht
gezogen wissen, während er andererseits
den Culturwert des Buddhismus in über-
schwänglichen Worten preist. Im zweiten
Theile seines Werkes sucht er sodann

* Vgl. »Wiener Rundschau«, III. Jahrg., Nr. 24, S. 566.

** Stuttgart, Fr. Frommans Verlag, E. Hauff.

*** Leipzig, W. Friedrich.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 187, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-08_n0187.html)