Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 189

O grave where is thy Victory Deutsche Buddhisten (Toorop, JanThomassin, Carl von)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 189

Text

THOMASSIN: DEUTSCHE BUDDHISTEN.

nachzuweisen und mit der bloßen Ver-
fehmung des Wortes Lebenskraft ist das
noch lange nicht gethan. Endlich das
Nirwana ist ja nichts anderes, als unser
Begriff des Metaphysischen und Trans-
cendenten, und jeder nüchterne Kopf muss
sich trotz Ed. von Hartmann sagen,
dass wir davon nichts wissen und nichts
wissen können, aus dem einfachen Grunde,
weil das Außerbewusste nicht zugleich
innerbewusst sein kann. Glauben aber
müssen wir daran, wenn uns nicht die
Existenz unseres eigenen Bewusstseins zu
einem unlösbaren Räthsel werden soll und
wir nicht mit dem Satze des Wider-
spruches in Conflict gerathen wollen. Das
Nirwana als logisch nothwendige Hypo-
these kann uns auch die Naturwissenschaft
nicht rauben.

Bezüglich der Polemik gegen den
Karma-Begriff ist zu bemerken, dass die von
dem Vorkämpfer der buddhistischen Reform
angepriesene Ethik den Buddhismus aufs
innigste mit demselben zusammenhängt und
dass sie deshalb nach seiner Ablehnung zum
mindesten entsprechende Modifikationen er-
fahren müsste, dass sodann bezüglich des
Nirwana-Begriffes die Thatsache nicht in
Betracht gezogen wird, dass das Endziel
des ganzen Buddhismus eben nur die
Erlangung des »Innerbewusstseins« ist, in
welchem der Mensch »Buddha«, d. h. ein
geistiger Erleuchteter, wird, ähnlich wie
es auch als das Endziel aller Yoga-Praxis
von jeher angestrebt wurde. Eine »buddhi-
stische« Propaganda ist überhaupt nicht
mehr buddhistisch, wenn sie diese That-
sache nicht in Betracht zieht.*

Neben dieser Propaganda für ratio-
nalistischen Reform-Buddhismus, wenn wir
die Schultze’sche Auffassung desselben so
nennen können, ist in Deutschland auch
eine solche für den esoterischen Buddhis-
mus von den Mitgliedern der theosophi-
schen Gesellschaften geschaffen worden.
An der Spitze derselben standen Dr. Franz
Hartmann
, der Herausgeber der »Lotus-
blüten«, und Dr. Hübbe-Schleiden, der
früher die »Sphinx« herausgab.

Vor kurzem ist auch Carl Bleib-
treu mit seinem Werke »Von Robes-
pierre bis Buddha«** aufgetreten. Er
spricht in demselben, nachdem er sich
mit den philosophischen, politischen und
socialen Fragen des letzten Jahrhunderts
beschäftigt, aufs entschiedenste die An-
sicht aus, dass die europäischen Cultur-
völker einer religiösen Reform im Sinne
des esoterischen Buddhismus zugeführt
weiden müssen. Die Kirchenformen
haben sich, so sagt er, überlebt,
ihre innere Verlogenheit ekelt die Besseren
an und sie verführt die Massen zu
völliger Gleichgiltigkeit und Abneigung,
wo ihrer Verdummung nicht ein Nach-
plappern albernen Aberglaubens genügt.
Aber das metaphysische Bedürfnis ist, so
führt er im Anschlusse an derartige Äußerun-
gen aus, nicht ganz verschwunden und wird
niemals ganz verschwinden können. Die
Menschheit seufzt nach einer Weltanschau-
ung. Aber es ist vollkommen müßig,
auf eine neue zu warten. Denn die
älteste und noch heute verbreitetste Welt-
religion deckt sich durch ihre innere Be-
schaffenheit mit allen nur irgend möglichen

* Von den zahlreichen Kritikern des Schultze’schen Werkes hat insbesondere der Indologe
Prof. Leopold von Schröder (Wien) Beachtung gefunden, welcher zwei gegen Schultze gerichtete
Vorträge unter dem Titel »Buddhismus und Christenthum, was sie gemeinsam haben und was
sie unterscheidet«, veröffentlichte. Derselbe beurtheilte die buddhistische Reformbewegung vom
Standpunkte des positiven Christenthums und erklärte deshalb unter anderem: »Man kann den
Buddhismus bezeichnen als den großartigsten Versuch der Menschheit, durch eigene Kraft sich
selbst zu erlösen; das Christenthum aber ist die Religion der geoffenbarten Liebe Gottes, die
uns in Gnaden Erlösung und ewiges, seliges Leben schenkt.« Der Haupteinwand, den Schröder
gegen den »Buddhismus« erhebt, besteht darin, dass derselbe keinen Gott und deshalb auch
keinen Gottesdienst und kein Gebetsleben kenne.

Merkwürdigerweise erblickt Schultze (der doch die Atma-Lehre der Vedânta wieder als
metaphysische Basis im Reform-Buddhismus berücksichtigen wollte) darin keinen Mangel der
buddhistischen Religion, sondern einen Vorzug. Letztere hat zwar — so führt er in seiner
Entgegnung aus — allerdings hinreichend Götter, sie kann deshalb eigentlich keine gottlose
Religion genannt werden. Aber sie ist doch eine »gottfreie« Religion, weil der Buddhist sich von
denselben nicht abhängig fühlt. Dies sei aber eigentlich nur ein Vorzug des Buddhismus und
»bei seinem Alter und bei seiner Ausbreitung sollte man doch Bedenken tragen, noch länger
Theismus und Religion miteinander zu verwechseln«.

** Leipzig, W. Friedrich.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 189, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-08_n0189.html)