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Evolutionen der Menschheit. Dem Satze
Schopenhauers, die Begebenheiten in
Galiläa würden die uralte Weisheit des
Menschengeschlechtes am Ganges und Indus
nicht umstoßen, wohnt prophetische Wahr-
heit inne.
Bleibtreu sucht nun die Karma-Lehre
der Indier als die Lehre von der Wieder-
vergeltung in den Wiedergeburten und
ihr Verhältnis zur Unsterblichkeit klarzu-
legen und erklärt sodann am Schlusse
seiner Ausführungen: »Soll man an eine
Unsterblichkeit glauben, und ist letztere
eine logische Schlussfolgerung der »Er-
haltung der Kraft«, dann ist nur die
buddhistische Auffassung heute noch möglich
und ansprechend. Da aber irgendwelche
»Religion« dem Menschengeschlecht er-
halten bleiben muss, und da die Idee un-
sterblicher Wiedervergeltung davon un-
trennbar bleibt, so hat nur der Buddhis-
mus Aussicht auf unangetastetes Be-
stehenbleiben selbst in der »aufgeklär-
testen« Periode«. Im Gegensatz zu
Schultze sucht Bleibtreu den Vorwurf des
»angeblichen Atheismus«, welcher der
»buddhistischen Weltreligion« gemacht
wird, möglichst zu entkräften. Er be-
hauptet, indem er offenbar unter »Buddhis-
mus« den »esoterischen Buddhismus«
versteht, dass die Annahme, der Buddhis-
mus sei atheistisch, ein »Missver-
ständnis vom bornierten, anthropomor-
phischen Standpunkte aus bedeute.« Aller-
dings kenne der Buddhismus keine
außerweltliche Gottheit. Der »Vater«
in der Jesu-Lehre trage im Buddhismus ein-
fach einen anderen Wortsinn von »pater«
und »abba« im aramäischen und grie-
chischen Evangelium, nämlich »Urgrund«.
Bleibtreu äußert schließlich noch die
Anschauung, dass die buddhistische Re-
form auch »eine eminent praktische
Bedeutung für die großen socialen Um-
wälzungen habe, die sich vorbereiten«.
Die Socialdemokratie habe zwar die Ir-
religiosität aller Schattierungen von In-
differenz bis zu directer Feindseligkeit auf
ihr Banner geschrieben. Das werde sich
aber furchtbar rächen, besonders wenn sie
zum Siege gelangt und die hochgebildeten,
in selbstlosem Idealismus erglühenden
Führer werden an den religionslosen Massen
noch ihr blaues Wunder erleben. Denn
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völliger Verzicht auf Transcendentales sei
ein Luxus, den sich nur ethisch Hochstehende
und Durchgebildete ohne Gefahr erlauben
können. Doch die Pfaffen des Materialis-
mus kennzeichneten sich selbst durch ihre
Intoleranz als würdige Brüder der Kirchen-
bonzen. Allerdings dürfe man nicht auf re-
ligiöse Antiquiertheiten zurückgreifen, wenn
man das erstorbene religiöse Gefühl
neu beleben wolle. Weder todte Ammen-
märchen des Kirchenthums, noch ein
rationalistisch verwässertes und im Grunde
fundamentloses Neo-Christenthum für Ge-
sellschaften ethischer Cultur könnten heute
noch etwas leisten, es sei denn, man über-
trage buddhistische Philosophie und Karma-
Lehre auf die den Europäern geläufige
Christen-Ethik, die ja ohnehin nur dem
Buddhismus entnommen war. Bei aller
Verehrung und Bewunderung für die
letztere könne der Wissende sich doch
die ungleich klarere, reinere, gewaltigere
Urquelle nicht verschütten lassen. Die
Religion, zu der er sich allein bekennen
wird, die älteste, erhabenste, umfassendste
Weltreligion sei eben nicht die christliche.
Alle angeblichen Nachweise, warum die Jesu-
Lehre sogar einen Fortschritt über Buddha
bedeute, beruhten auf crasser Unwissen-
heit oder Borniertheit. Wohl keiner der
Theologen, die wir anzuführen versuchten,
habe die Reden Buddhas studiert, ge-
schweige verstanden, in denen beiläufig
alle deutsche Metaphysik längst vorweg
gedacht wurde. Die Evangelien enthielten
zwar großartige Dichtung ethischer Affecte,
durchblitzt von genialer Erkenntnis der
Seelenkräfte, aber von realen, religiösen
Grundlagen so Verworrenes und Weniges,
dass die Kirche allerlei hineinfabeln musste,
um es dem Volke plausibel zu machen.
Jedenfalls bleibe alles unklar und ver-
schwommen, sozusagen lauter Fragmente
und Aphorismen, nirgends ein logischer
Ausbau. Die heutige Welt aber verlange
Klarheit und werde religiöse Wahrheit
nur anerkennen, wenn sie, systematisch
aufgebaut, sich mit modernem Natur-Er-
kennen verträgt. Ein solches System biete
uns der Buddhismus. — Er allein antworte
auf die Frage nach dem Warum, welche die
Reformationen und Revolutionen donnern.
Es wird den Leser vielleicht befremdet
haben, dass Bleibtreu wiederholt den
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