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reich den Kampf bestanden (vgl. Brinton:
Hero-Myths). Ja, selbst das Christenthum
hat diese uralte Beziehung noch nicht
völlig abzustreifen vermocht, wie die Be-
zeichnung des heiligen Geistes als Taube
oder wie die symbolische Thierwelt
der Apostel und Heiligen beweisen, die
mit geringfügigen Umgestaltungen aus
dem deutschen Heidenthum übernommen
wurden. Die heiligen Schimmelreiter, diese
populären Figuren des mittelalterlichen
Katholicismus, sind ohne jenen tieferen
Zusammenhang mit den fetischhaften
Drachen und Schlangen, die von christ-
lichen Helden bekämpft werden, schlechter-
dings undenkbar (vgl. Lippert: Christen-
thum, Volksglaube und Volksbrauch).
Man hat früher gelegentlich auch in
den religiösen Ideen der Naturvölker einen
ethischen Dualismus finden wollen, wie er
unserer christlichen Auffassung in dem
Kampfe Gottes mit dem Teufel geläufig
ist, oder wie er sich in dem Streit des
Ormuzd mit Ahriman im Zendavesta aus-
drückt.* Es bedarf in der That weniger
Überlegung, um zu erkennen, dass es
aller psychologischen Wahrscheinlichkeit
völlig widerspricht, wenn man derartige
speculative Begriffe, die noch dazu eine
gewisse Reife sittlicher Erkenntnis voraus-
setzen, schon hier voraussetzt. Aber da
anderseits die Mythologie und Religion
primitiver Völkerschaften ein unmittel-
bares Abbild ihrer ganzen Denkart und
Weltauffassung ist, so wäre es wunderbar,
wenn nicht die gewöhnlichen Erfahrungen
freudiger oder schmerzlicher Art in diesen
mythologischen Projectionen ihren ent-
sprechenden Ausdruck gefunden hätten,
wie sie wohl am schärfsten in jener be-
kannten Antwort eines Buschmannes auf
die entsprechende Frage eines Missionärs,
was gut und böse sei, sich zu erkennen
gibt: »Gut ist, wenn ich dem
Nach-
barn
die Kuh wegnehme, böse, wenn
er sie mir stiehlt.« Dazu kommt noch,
dass der Naturmensch sich in seiner Hilf-
losigkeit und Unerfahrenheit überall be-
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droht glaubt von feindlichen Angriffen
und Überfällen, deshalb musste mit orga-
nischer Nothwendigkeit in seiner aber-
gläubischen Phantasie der Gedanke an die
verhängnisvolle Wirksamkeit böser Geister
zu üppig wuchernder Entwicklung gedeihen.
Es ist darum durchaus kein Zufall, sondern
psychologische Nothwendigkeit, wenn ge-
rade die Glaubenslehren niederer Rassen
einen verhältnismäßig düsteren, dämono-
logischen Charakter tragen und die meisten
Gebete sich auf die Abwehr drohender
Unglücksfälle und heimtückischer Bosheit
beziehen.** Auch die Thiere wurden durch
die unwiderstehliche Wucht des Animismus
in diesen trüben Bannkreis gezogen, und
so finden wir jene schrecklichen Gestalten
des Volksglaubens, wie Werwölfe und
Menschentiger, aus diesen phantastischen
Vorstellungen hervorgehen. Dass gewisse
ungewöhnlich wilde Wölfe oder Tiger
Menschenfresser sind, wird, wie Tylor
sagt, durch den Glauben erklärt, dass die
Seelen gottloser Menschen nachts in die
Körper wilder Thiere eintreten, um ihren
Mitmenschen nachzustellen. Es sind dies
die Menschentiger oder Werwölfe, d. h.
Mannwölfe, an deren Existenz noch jetzt
das abergläubische Volk in Indien und Russ-
land glaubt. Die Erscheinung, dass ein
Mensch blass und blutarm wird und ab-
magert, erklärt man in slavischen Gegenden
durch den Glauben an die Existenz blut-
saugender Geister, die den Kranken nachts
heimsuchen. Diese Geschöpfe werden für
Dämonenseelen erklärt, die in Leichnamen
wohnen. Es sind dies die Vampyre (vgl.
Einleitung in das Studium der Anthro-
pologie. Braunschweig 1883. Lippert:
Religionen der europäischen Culturvölker.
Berlin 1881). Wesentlich ist auch hier
die ursprüngliche fetischartige Vorstellung
von der Besitznahme des Objectes durch
irgendeine göttliche Kraft — noch jetzt
zeugt die deutsche Sprache von der Un-
verwüstlichkeit dieses Gedankens in dem
Ausdruck: Besessenheit. Das betreffende
Thier wechselt selbstverständlich nach
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