|
DIE FREIE BÜHNE IN WIEN.
Es ereignet sich nun zum dritten oder
siebenten Mal, dass man bei uns in Wien
den durchaus ehrenhaften, lauteren und
tapferen Gedanken, der anderwärts der
Gründung Freier Bühnen zugrunde lag,
in unbeholfener, alberner und unehrlicher
Weise missbraucht. Der weiland Pferde-
stall in Rudolfsheim, der sich seinerzeit
mit vielem Applomb als Salon der zurück-
gewiesenen Talentlosigkeit aufgethan, feiert
unter der Ägide neuer Männer in einer
anderen Gegend der Stadt nach fünf oder
sechs Jahren das Fest seiner zweiten Er-
öffnung. Dies mag umso betrübender und
ärgerlicher sein, als man diesmal nach all
dem wohldrapierten Märtyrerthum der
jüngsten Herren Bahnbrecher, das ihnen
unter den Stockprügeln unserer Censoren
erwachsen ist, in einem Augenblicke wohl-
wollender Zuversicht denn doch erwarten
durfte, dass sie die freien Worte, die ge-
macht wurden, in der Stunde des Voll-
bringens nicht wiederum durch aufge-
blasenes Unvermögen zu gschnashafter
Schäbigkeit herabdrücken würden. Nun
muss man sich schämen, von großspreche-
rischem Thun Triebkräftiges erwartet zu
haben.
Unter den Zuschauern der beiden ersten
Aufführungen muss man gewesen sein,
um die Entrüstung zu theilen, die aus
diesen Zeilen sprechen möchte. Man muss
es gesehen haben, wie da in dem com-
merzialen Milieu des kaufmännischen
Vereinssaales vor einem Parterre geladener
Kumpane, die großentheils zu den Familien
der Veranstalter, Verfasser und Darsteller
gehörten, der übelriechendste Dilettantismus
von etlichen Afterpoeten und schmierigen
Theaterschülern (ein Frl. Wreden sei aus-
genommen) mit den frechen Allüren ver-
meintlicher Lichtbringerei emphatisch ge-
fördert wurde. Man frage sich, ob man
dazu schweigen darf. Inmitten des inneren
|
Stadtbezirkes wagt ein literarisch ge-
färbtes Gremium, das scheinbar zu freier
Kunstbetrachtung erziehen möchte, die
Erwartungen aller Ahnungslosen unter
missbräuchlicher Etikette aufzupeitschen
— und weiß sich zur Sicherung solchen
Beginnens keine anderen Darsteller und
Regisseure, als klägliche Komödianten,
die selbst in Mistelbach oder Zeiselmauer
mit Fauleiern beworfen würden; weiß
sich keine anderen Dichter, als mikro-
cephale Horribiliscribifaces, die fast in
jeder ihrer Scenen so Megalo- wie Klepto-
Manie missduftend zur Schau tragen;
weiß sich kein würdigeres Mittel zur
Förderung dieser Culturthat, als die Ver-
sendung eines Circulars an die Redactionen
der Stadt, in dem u. a. zu lesen steht:
Da auch für erstrangige Schauspiel-
kräfte gesorgt ist, wird sich der Abend
(»Zusammenbruch«, modernes Schauspiel
von Otto Kraus) zweifellos zu einem inter-
essanten literarischen Ereignis gestalten.«
So also sehen die »literarischen Er-
eignisse« unserer Stadt aus. So tief ist
die künstlerische Cultur der literarischen
Cliquen gesunken, dass sie sich von der
Börseaner-Erotik erbärmlicher Knaben-
stücke Ernstliches zu versprechen wagen.
Die Geister erwachen, es ist eine Lust
zu leben. Dafern sich aber diese Geister
im Stillen nicht gestehen sollten, dass
man Gründungsgedanken, die in redlicheren
Ländern einem culturellen Bedürfnisse ent-
sprangen, pueriler Weise nicht blasphe-
mieren darf, wird man ihnen bald aller-
seits deutlicher erklären müssen, dass sie
Wien nur um eine neue Zuchtstätte für
literarische Hochstapelei bereichert haben.
Im übrigen aber: Was sollen uns
heute noch Freie Bühnen, die mit der
Zeit nicht Schritt halten, vielmehr ge-
dankenlos in die Periode jener Gährung
zurückleiten, die vor einundeinhalb Jahr-
zehnten den »consequenten Naturalismus«
|