Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 203

O grave where is thy Victory Die Freie Bühne in Wien Kunst* (Toorop, JanLindner, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 203

Text

RUNDSCHAU.

geboren? Als Bjarne P. Holmsen, der
Doppeldichter, das Erstlingsdrama Gerhart
Hauptmanns gezeugt, wandelten sich in
den Mappen der Mittelschüler die Conra-
dine, Brutusse, Gracchen wie mit einem
Schlage in Dirnen-, Schwindsuchts-, Ent-
bindungs-Dithyramben. Und heute leben
diese Surrogate noch? Leben heute noch
bei uns, da sie doch anderwärts schon
Moder geworden? Wie über alles sonst in
Österreich, ist eben auch über unsere
Mittelschüler der Zeitgeist der »Moder-
nität« um zehn Jahre zu spät gekommen.
Denen der Brutus gestern gelungen wäre,
muss aber der Hinterhäusler heute glücken,
da doch die modische Tradition dem ge-
schickten Jünger so zeugungskräftig wie
die alte ist. So sieht man jetzt fast zu
gleicher Zeit im Deutschen Volkstheater,

im Josefstädter- und im Jubiläumstheater den
consequentesten Naturalismus vierschrötig
mit den Hüften wackeln. Bedarf es da also
noch der Freien Bühnen? Wir brauchen
Unfreie Bühnen, die unter stilkundiger
Leitung inmitten dieses anarchischen
Treibens neuerdings verkünden müssten,
dass ohne die zwingendste Beschränkung,
ohne Selbstzucht und Selbstcultur keinerlei
Kunstthat zu erreichen ist. Man hat sich
lange genug in Rudeln ausgelebt. Sich
wieder einsam einzuleben in die ewigen
Gesetze, die sich in den Entwicklungen
unserer Großen und Größten seit Jahr-
tausenden spiegeln, dazu sind wir jetzt
unter den Lebenden. Aber unfrei zu sein
im Sinne dieser Größten kann sich heute
natürlich kein Einziger recht gestatten.

ANTON LINDNER.

KUNST.

Im Anschlusse an die Zeichnung Jan TooropsO grave where is thy Victory“,
die wir in dieser Nummer (S. 175) publicieren, sei hier auf die beiden Artikel über
das künstlerische Schaffen dieses Meisters (»Wiener Rundschau«, III. Jahrg., Nr. 11
u. 12) und auf die biographisch-kritischen Ausführungen des letzten Heftes (»Wiener
Rundschau«, IV. Jahrg., Nr. 7) verwiesen.

Im »Magazin of Art« spricht Philipp Burne-
Jones soeben über den Bilder-Nachlass seines
Vaters Sir Edward Burne-Jones. Einzelne
dieser noch völlig unbekannten und unver-
öffentlichten Bilder werden im Anschlusse an die
Ausführungen des Textes in guten Reproductionen
vorgeführt. Die Originale befinden sich jetzt
im verwaisten Hause des Meisters, das höchst
wahrscheinlich (wie beispielsweise auch das Haus
Gustav Moreaus zu Paris) in ein Museum
umgewandelt werden dürfte. Die Studie des
Sohnes über den großen Vater und seine
letzten Werke gibt in vielfacher Hinsicht sehr

instructive und interessante Aufschlüsse. Unter
den letzten Bildern des Künstlers, deren einige
unvollendet geblieben sind, nehmen »Venus
Discordia
« und »Venus Concordia« — zwei
bewunderungswürdige Tafeln — die erste
Stelle ein. Es wäre sehr an der Zeit, einige
Werke aus diesem frei verfügbaren Nachlass
nach Wien zu bringen. Vielleicht entschließt
sich also eine unserer Vereinigungen oder
Kunsthandlungen zu diesem schönen und ver-
muthlich auch einträglichen Wagnis.

Auf das Museum Moreau werden wir
im nächsten Hefte zu sprechen kommen.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 8, S. 203, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-08_n0203.html)