|
»Ernst Haeckel und der
Occultis-
mus« ist der Titel eines Vortrages, den Hof-
rath Prof. Max Seiling vor einiger Zeit in
der »Gesellschaft für wissenschaftliche Psycho-
logie« in München gehalten und jetzt in der
Ȇbersinnlichen Welt. Mittheilungen aus
dem Gebiete des Occultismus« (herausgegeben
von Max Rahn) als Artikelfolge erscheinen lässt.
Namentlich sei hier auf den interessanten und
muthigen Passus verwiesen, der Haeckels
und Du Prels Weltanschauung in ver-
gleichende Beziehung bringt. Beide nehmen
eine monistische Erklärungsweise für sich
in Anspruch. Haeckel will zwar als »Natur-
philosoph« gelten, aber die grobsinnliche Art,
in der er, der Löser der Welträthsel, seine
empirische Methode der Wahrheitsforschung
mit der speculativen Methode zu vereinigen
sucht, ist wenig glücklich. Haeckel, der Philo-
soph, hat vom erkenntnis-theoretischen Problem
kaum eine theoretische Kenntnis. Das durch die
Sinne vermittelte Weltbild hält er für objectiv
wahr, ist also von der Realität der Materie
schlechterdings überzeugt Dieser kindlich-
naive Realismus, der nach Schopenhauer
»in die Bedientenstube gehört«, findet eine
groteske Illustration in dem Ausspruch Büch-
ners: Der »beste Beweis« für die objective
Wahrheit des Weltbildes sei die — Photo-
graphie! »Übersinnlich« und »übernatürlich«
sind identische Begriffe für Haeckel.
Haeckels Monismus trägt alle Alluren des ge-
wöhnlichen Materialismus an sich. Seine Deutung
des Weltwesens und der Welt-Substanz lässt
die Entstehung des Bewusstseins und des
Denkens völlig unerklärt und unerklärlich.
Kein einziges religiöses Dogma stellt an
den Glauben seiner Bekenner so hohe An-
forderungen, wie die Entstehung des denkenden
Geistes aus blinden Kräften (Energien) an den
Glauben der Materialisten und Haeckelianer!
Und dennoch behauptet Haeckel, dass durch
seine Auflassung der Substanz und durch die
moderne Entwicklungslehre die sieben Welt-
räthsel Dubois-Reymonds endgiltig gelöst
seien! Er verwechselt eben die Erklärung
der Phänomene mit der Beschreibung
ihrer Wirkungen, die einem so bedeutenden
Naturforscher, wie es Haeckel ist, natürlich
glänzend gelingen muss. Wenn er aber wieder-
holt hervorhebt, dass das »logische Causalitäts-
bedürfnis unseres Verstandes« durch seinen
Monismus vollkommen befriedigt werde, so
muss Dem entgegengehalten werden, dass ihm
selber einmal das Bekenntnis entschlüpft:
»Wir sind unfähig, das innerste Wesen dieser
realen Welt — das Ding an sich — zu er-
kennen« und dass ihm an anderer Stelle das
Bewusstsein unlogischerweise gar als ein
»psychisches Central-Mysterium« erscheint.
Dem Haeckel’schen Monismus sind, wie im
allgemeinen dem Materialismus, auf den er
sich stützt, die folgenden Punkte zum Vorwurf
zu machen: Der Glaube an die Unendlich-
keit des Raums; der Glaube an die ewige
|
Wiederholung des Weltprocesses; die Auf-
hebung der Selbstherrlichkeit des Individuums;
die Leugnung der Lebenskraft; die endgiltige
Vernichtung des Menschenwesens durch den
Tod; die Unfreiheit des Willens ohne ein
ergänzendes transcendentes Reich der Frei-
heit; die Unmöglichkeit der Moral-Begründung;
die Leugnung einer sittlichen Weltordnung.
Es würde hier zu weit führen, wollten wir
die Antworten entwickeln, die der Spiritualis-
mus auf diese und ähnliche Dogmen der
Naturwissenschaft in Bereitschaft hat. Im
übrigen werden wir im nächsten Hefte einer
Studie Prof. Max Seilings Raum geben, die
das Verhältnis des Occultismus zur officiellen
Wissenschaft präcisiert.
Über Telepathie finden sich Aus-
führungen aus der Feder Prof. Dr. Constantin
Gutberlets, des Herausgebers der »Philoso-
phischen Jahrbücher«, in der Zeitschrift »Natur
und Offenbarung. Organ zur Vermittlung
zwischen Naturforschung und Glauben« (Bd. 45,
S. 449 ff.) Bekanntlich ist es eine tausendfältig
bestätigte Erfahrung, dass sich der Tod einer
Person, die in der Ferne weilt, im Augenblicke,
da sie ihren Geist aufgibt, in der Seele eines
Anderen trotz meilenweiter Entfernung durch
ein psychisches Phänomen verkünden kann.
In England hat sich ein Comité con-
stituiert, das durch eine Enquête diesen Zu-
sammenhang zwischen Erscheinungen Sterben-
der und ihrem wirklichen Tod statistisch be-
stimmen und ergründen will. Allerdings, das
zeitliche Zusammentreffen einer Hallucination,
die uns den Tod eines Anderen vorgaukelt,
mit dem thatsächlichen Eintritt seines Todes
kann ein Zufall sein. Aber die Fragebogen,
die von den Mitgliedern jenes Comités ver-
sendet wurden, haben eine weit größere An-
zahl Coincidenzen ergeben, als dem »reinen
Zufall« (Wahrscheinlichkeits-Rechnung) zuge-
schrieben werden könnte. Unter den Erklärungs-
versuchen dieses psychischen Phänomens
ist die vermeintliche Deutung Sidgwiks
erwähnenswert, der jetzt an der Spitze der
genannten Enquête-Commission steht: er nimmt
eine causale Wirkungsmöglichkeit des Sterben-
den in die Ferne an; ein Anderer — Liébault
— denkt an Gehirnwellen, die von dem Gehirn
des Sterbenden ausgehen und das Gehirn des
telepathisch Berührten in Schwingungen ver-
setzen; ein Dritter — Crookes — nimmt zu
den Röntgenstrahlen seine Zuflucht. Gutberlet
selbst ist ein Feind all dieser Hypothesen, und
es scheint fast, als ob er die Existenz telepa-
thischer Phänomene überhaupt leugnen wollte.
Die bisherigen Erklärungsversuche seien in
sich selbst unhaltbar. Und was jenes Plus an
Coincidenzen zwischen Hallucination und Tod
anbetrifft, das sich aus der erwähnten Enquete
ergeben hat und als bloßer Zufall wohl nicht
zu deuten ist, so könne dieser Überschuss auch
durch »wirkliche« Ursachen leicht erklärt
|