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Entwicklung vom Mineral- zum Pflanzen-,
vom Pflanzen- zum Thierreich u. s. w.
entsprechen. Auf diese Art gibt es auf-
steigende und absteigende Entwicklungen,
die sich unter Umständen in einem Punkte
kreuzen oder berühren können. Einen
solchen Punkt stellt der Mensch dar.
Überhaupt ist der Mensch als eine geistige
Kraft aufgefasst, die wieder der Gesammt-
ausdruck für eine Summe von Einzel-
kräften ist, welche Summe aber durch
eine besondere Centralkraft, das eigent-
liche Menschenwesen, zusammengehalten
ist. Diese Kraft ist nun selbstverständlich
unvergänglich, aber ihre Äußerungen
werden sich jederzeit ändern. Dies ist die
Grundlage des Gesetzes der Reinkarna-
tion oder Wiederverkörperung. Die geistige
Kraft des Menschen beseelt immer neue
Persönlichkeiten, die auf der Weltenbühne
auftreten und auf ähnliche Weise mitein-
ander zusammenhängen, wie ein und der-
selbe Mensch nach jeder Nacht neuerdings
erwacht und ein bestimmtes Tagewerk
verrichtet, das mit dem vorhergegangenen
oft wenig Ähnlichkeit hat und dem auch
nicht derselbe Körper zum Träger dient,
da ja durch den Stoffwechsel von einem
Tag zum andern ein messbarer Teil des
Gesammtkörpers ein anderer geworden
ist. Nach dem Gesetze der Analogie gilt
nun diese Erhaltung der Kraft und diese
Reinkarnation auch für die Welten. Die
Geheimlehre schildert uns das Entstehen
und Vergehen der Welten, und zwar ist
dabei eine cyklische Entwicklung ange-
nommen, so dass jeder Kreislauf von
Werden und Vergehen an einem höheren
Punkte endigt, als er begonnen hat. Die
Energie ist wohl die gleiche geblieben,
aber die Schwingungszahl hat sich ver-
ändert, bei absteigenden Cyklen erniedrigt,
bei aufsteigenden Cyklen erhöht. Dabei
findet eine cyklische Verwandlung der
Erscheinungsform der Kräfte insoferne
statt, als ein Übergang vom rein Geistigen,
das uns als »Nacht des Brahma« wie
ein reines Nichts erscheint, zu immer
materielleren Ausdrucksformen (die also
das Licht immer heller reflectieren, je un-
durchdringlicher sie für dasselbe werden)
stattfindet, bis ein Punkt größter Materia-
lität, somit größten Widerstandes für die
Bethätigung geistiger Kräfte erreicht ist,
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durch welchen Widerstand auch eine
umso größere Vervollkommnung derselben
möglich wird. Dann schwingt das Pendel
wieder zurück, und es tritt eine all-
mähliche Verfeinerung oder, wenn man
will, ein Zerfall ein, bis schließlich das
Weltall wieder von derselben scheinbar
homogenen, in ihrer Verdünnung unsicht-
baren Masse erfüllt ist, wie Aeonen
zuvor.
Das Eigenthümliche der Geheimlehre
ist nun dies, dass sie alle dabei auf-
tretenden Kräfte specificiert, benennt, ihre
Wirkungsweise beschreibt und mit diesen
Begriffen ebenso hantiert, wie die Chemie
mit den Symbolen für die chemischen
Kräfte der einzelnen Elemente. Alte Über-
lieferungen des Ostens und des Westens
gewinnen da wieder neues Leben. Was wir
als Kindermärchen kennen gelernt, lässt
sich vielleicht in einer Fabelsammlung der
Araber in etwas ausführlicherer Form
wiederfinden, die sich ihrerseits auf eine
schon mit allerlei philosophischen Versen
durchsetzte indische Fabelsammlung zu-
rückführen lässt, die, genau betrachtet,
nichts anderes ist als eine Popularisierung
von Ideen, die in erhabener, philosophi-
scher Sprache das gegenseitige Verhältnis
der Kräfte, welche die Welt erbauen und
zerstören, behandeln und die wiederum
nur eine Einkleidung sind für Vorgänge,
die sich nicht mehr in Worte fassen
lassen, die aber der Schüler des Ostens
in seinem eigenen Innern durchleben
musste, wenn er das »Erkenne dich
selbst« zur That werden lassen wollte;
und eine und dieselbe Idee erscheint
gänzlich verschieden in der Sprache des
Homer und in der des Moses oder wieder
in der Ausdrucksweise des Mittelalters.
Wer wird sofort die zwölf Thierkreis-
zeichen und die zwölf Stämme Israels
und die zwölf Götterwohnungen der Vö-
luspa für Darstellungen ein und derselben
Idee erkennen, die eine Formel bedeutet,
die nicht bloß für das scheinbare Auf-
und Absteigen der Sonne im Laufe eines
Jahres, sondern auch für die Erlebnisse
der geistigen Sonne eines jeden Einzelnen
oder des Weltalls ihre Geltung hat? Die
scheinbar undurchdringlichen Mysterien
der alten Kulte werden uns klarer, wenn
wir sie nebeneinanderhalten, wenn wir
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