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den Baum der Erkenntnis nicht nur im
hebräischen Paradies Früchte tragen sehen,
sondern auch in den älteren Erzählungen
von Babylon und Chaldäa, von Indien
und Mexiko, wenn wir die Erlebnisse
des Osiris mit denen indischer Avatare
und neuerer Religionsstifter vergleichen
und dabei bedenken, dass die Initiation,
die der Lichtsuchende der Mysterien
durchzumachen hatte, in eben diesen Er-
zählungen ihr Vorbild und ihre ober-
flächliche Erklärung fand. Höchst interes-
sant sind auch die Beschreibungen der
Schicksale der einzelnen Menschenrassen,
die sich angeblich auf Überlieferungen
stützen, die in Zeiten zurückgehen, wo
wir bisher nur den Pterodactylus mit
unheimlichem Flug durch die Lüfte flattern
gesehen haben.
Auch hier sehen wir wieder das
Gesetz von der Erhaltung der Kraft,
von Ursache und Wirkung und von
der Analogie (dort, wo eine nach ein-
heitlichen Gesetzen fortschreitende Ent-
wicklung möglich ist) in großartigen
Beispielen illustriert. Das eigentliche Ver-
ständnis aber für die ganze Geschichte
von Weltentstehung und Menschheits-
entwicklung gibt uns nur die ebenfalls
im Westen zuerst von H. P. B. ver-
kündete Lehre von den sieben
Prin-
cipien im Menschen, denen sieben
Principien im Weltall entsprechen. Für
beide gelten selbstverständlich dieselben
Gesetze, geradeso wie für den Sauerstoff
oder Wasserstoff innerhalb des mensch-
lichen Körpers dieselben Gesetze gelten
wie draußen im übrigen Weltall. Aus
einem Studium der in uns vorhandenen
Kräfte — die Siebentheilung müssen wir
allerdings vorerst dahingestellt sein lassen
— können wir somit auf das Wesen
der im Weltall vorhandenen Kräfte
und der durch die Kräfte bedingten Ge-
schehnisse sobald einen Schluss ziehen,
als wir das Wesen derselben in uns
selber erkannt haben. Dieses »Erkenne
dich selbst« nun ist für die meisten
Menschen wohl nur ein frommer Wunsch,
aber es ist die Wahrscheinlichkeit nicht
ausgeschlossen, dass dem einen oder an-
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deren Menschen im Laufe der Jahrtausende
doch Selbsterkenntnis gelungen sei; und
wenn wir nun die Lehren, die uns von
solchen Menschen, denen von ihren Mit-
menschen Selbsterkenntnis zugeschrieben
wurde und die uns in den verschiedensten
Sprachen und Ausdrucksweisen erhalten
sind, mit einander vergleichen und in
ihnen allen dieselben Grundwahrheiten
wiederfinden, deren Darstellung eben die
Geheimlehre beabsichtigt, so kann das
für uns immerhin Grund genug sein, der
Sache ohne Voreingenommenheit mit
aufmerksam prüfendem Sinn entgegen-
zutreten, das uns anzueignen, was wir
verstehen, und das dahingestellt sein zu
lassen, was wir zwar nicht verstehen,
aber auch nicht widerlegen können. Jedem,
der sich so viel Vorurteilslosigkeit zutraut,
den der Drang nach Wahrheit und Er-
kenntnis beseelt und der über eine ge-
nügende, allgemein wissenschaftliche
Vorbildung verfügt (denn eine solche ist
allerdings beim Studium der Geheimlehre
unerlässlich), dem sei dieses Werk auf’s
Beste empfohlen. Er wird bald fühlen,
dass er der Welt mit anderen Augen
gegenübersteht als früher. Gerade jetzt,
am 8. Mai, feiert die große, über die
ganze civilisierte Welt verbreitete Blavatsky-
Gemeinde den »weißen Lotustag«, die
Erinnerung an ihr im Jahre 1891 erfolgtes
Hinscheiden. Nicht um zu trauern kommen
sie zusammen; weiße Blumen schmücken
die Versammlungsräume; und Ansprachen
und Vorlesungen aus auserlesenen Werken
des Ostens bekunden, dass Diejenigen,
die die Überzeugung von Karma und
Reinkarnation gewonnen haben, den Tod
nur als einen Wechsel der Erscheinungs-
form einer ewigen Kraft betrachten. Möge
diese Erkenntnis, die in den Ländern,
wo H. P. B. vornehmlich gewirkt hat,
also in Amerika, England und Indien,
bis in Kreise gedrungen ist, denen das
Glück geistigen Strebens durch die bis-
herigen einseitigen, in den Dienst ein-
zelner Classen gestellten Culturmittel früher
nicht zutheil werden konnte, nun auch
in den Ländern deutscher Cultur immer
weiter um sich greifen.
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