Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 146

Les Muses quittent Apollon Über die Bewohnbarkeit der Sterne (Moreau, GustaveAdler, Prof. S.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 146

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ADLER: ÜBER DIE BEWOHNBARKEIT DER STERNE.

Lebensbedingungen für belebte Wesen.
Alle Sonnen (die kosmischen Primär-
Gebilde), — also auch unsere Sonne
(von der Kelvin-Thomson sagt, sie bestehe
schon 1200 Millionen Jahre und könne
auch noch 7 — 15 Millionen Jahre be-
stehen) — sind in ihren Phasen a und c
gleichfalls unbewohnbar. Die Sonnen
werden aber gleich den Planeten (den kos-
mischen Secundär-Gebilden des Sonnen-
Systems) dereinst in die Phase b eintreten
müssen, können dann also (bis zur Phase c)
bewohnbar werden. Nach Newcomb dürfte
das planetarische Leben in unserem Sonnen-
System fast 10 Millionen Jahre anhalten;
durch Meteorstürze auf die Sonne höch-
stens 5 Millionen Jahre länger. Ein Gleiches
ist das Los der Monde (der kosmischen
Tertiär-Gebilde). — Indeß: Nichts geht
verloren in der kosmischen Oekonomie.
Ewiger Kreislauf, steter Stoffwechsel ist
Gesetz bei den Makro-Gebilden (Sternen),
wie bei den Mikro-Gebilden auf ihnen,
wobei Stoff und Kraft ewig bleiben, während
ihre Formen stetig wechseln. Wenn so-
nach die Vernunftwesen (Menschen), die
Thiere und Pflanzen auf einem Sterne
absterben, entstehen auf einem anderen
Sterne wieder andere. Wie der Stoff und
die Kraft unvergänglich sind, so sind Zeit
und Raum unendlich, das Leben ewig,
ohne Anfang und Aufhören.

Alle Sterne, auch die Doppelsterne
und die der höheren Weltkörper- oder
Sonnen-Systeme, haben sonach Bewohn-
barkeits-Möglichkeit. Ausgenommen mögen
die kometarischen kosmischen Ge-
bilde sein, die wahrscheinlich. niemals die
Lebensbedingungen für Organismen hatten.
So kann an die Milliarden Sterne im schier
endlosen Sternenheere die Reihe der Be-
wohnbarkeit kommen, früher oder später.
Sowie einmal die zu hohen Hitzgrade ge-
wichen sind, die Dünste sich zu Regen
verdichtet, die Stoffe sich chemisch ver-
bunden haben und für Sonnenlicht und
Wärme durchlässig geworden sind, die Luft
hinlänglich und entsprechend geworden
ist etc. etc. (lauter Kriterien der Lebens-
möglichkeit), tritt auch die Bewohnbarkeits-
Möglichkeit ein, freilich zuerst nur für die
niedrigst organisirten Formen der
Thiere und Pflanzen, die aus dem Proto-
plasma entstehen. Aus diesen minderen

Lebewesen entwickeln sich dann mählich
immer höhere in allen Formen, angepasst
den jeweiligen Lebensbedingungen, bis
eine immer höhere Mannigfaltigkeit eintritt.

So viel steht hinsichtlich der Bewohn-
barkeits-Möglichkeit der Gestirne fest:
Für die Existenz der lebensfähig ent-
wickelten Formen der Organwesen, gleich-
viel ob durch Urzeugung oder durch Fort-
pflanzung entstandenen, gelten die folgen-
den Hauptfaktoren: 1. Gutes und ge-
nügendes Material zum Entstehen und Be-
stehen eines belebten Leibes (in erster
Reihe: Sauerstoff, Kohlenstoff, Wasser-
stoff, Stickstoff, dazu noch Schwefel,
Phosphor, Kalk, Chlor, Natrium etc.);
2. Genügende Wärme und genügendes
Licht; 3. Genügendes und gutes Wasser;
4. Eine Atmosphäre mit genügend guter
Luft, genügendem Druck und genügender
Beweglichkeit für Windentstehung etc.;
5. Ein durch die Schwerkraft geregeltes
Verhältnis zwischen der Sternmasse und
Sterndichte einerseits und den Lebewesen
andererseits.

Vergleichen wir nun die Planeten
unseres Systems hinsichtlich ihrer mut-
maßlichen Bewohnbarkeit. Nach dem Alter
der Planeten kämen in Betracht:

von den sonnenfernsten: der Neptun,
dann der Saturn mit seinem Ring-
system, hierauf Uranus, dann Jupiter
und die Planetoiden;

von den sonnennäheren: Mars und
Erde;

als sonnennächste: Venus und
Mercur. Man sollte meinen, die ent-
fernteren müssten, da sie als ältere mehr
Zeit hätten, sich bis zur Phase b zu con-
solidieren, früher bewohnbar sein, allein
man bedenke, dass größere Massen, zu-
mal bei weiterer Entfernung von der
Centrale (Sonne), in Hinsicht auf Schwere,
Atmosphäre, Luftdruck, Klima, Wasser etc.
viel später als kleine, minder Sonnenferne
Massen (Erde, Mars) sich entwickeln und
daher auch, wenn überhaupt, viel später
bewohnbar werden können, als die
kleinen; die sonnennächsten, jüngsten
und kleinsten wieder (Venus, Mercur)
sind der stärksten Insolation ausgesetzt,
haben also eine zu grelle Beleuchtung,
eine zu große Erwärmung etc., consoli-
dieren sich daher noch viel später als

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 146, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-10_n0146.html)