Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 152

Les Muses quittent Apollon Porträtmalerei (Moreau, GustavePudor, Heinrich)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 152

Text

PORTRÄTMALEREI.
Von HEINRICH PUDOR (Wasa, Finnland).

Wenn man in Kunst-Ausstellungen
herumgeht, kann man häufig hören, dass
ungebildete Leute über Porträts und
Porträtbüsten Urtheile abgeben, wie: »Sehr
ähnlich; das scheint sehr ähnlich zu sein;
das ist aber gar nicht ähnlich; der Aus-
druck des Auges ist gut getroffen; spre-
chend ähnlich; im Profil wirkt es sehr
ähnlich etc. etc.« Kurz und gut, diese
Leute sehen die Bilder daraufhin an, ob
sie ähnlich sind; sie legen also an die
Kunstwerke — denn um solche handelt
es sich doch wohl in den Kunst-Ausstel-
lungen — denselben Maßstab wie an
Photographien. Dies schon muss uns
auffallen, denn zwischen Photographien
und Gemälden waltet ein tiefgreifender
Unterschied, indem erstere nicht dem Gebiet
der schönen Künste, sondern dem der
Technik angehören. Sollte man nicht
glauben, dass unter diesen Umständen die
Beurtheilung der Werke der Kunst nach
ganz anderen Grundsätzen erfolgen müsse,
als diejenige der Werke der Photographie?

Jener Kunstunverständige, der ein
Porträt wie oben angedeutet beurtheilt,
kennt vielleicht die dargestellte Person
und stellt nun einen Vergleich an zwischen
dem Urbild und dem Abbild, und je nach-
dem dieser Vergleich zu Gunsten oder zu
Ungunsten des letzteren ausfällt, gibt er
sein Urtheil über das Kunstwerk ab und
nennt es gut oder schlecht, hervorragend
oder mittelmäßig. Wie macht es aber
nun dieser mangelhaft vorgebildete Be-
sucher in den Museen, wo Porträts zu
sehen sind von Personen, die er nicht
kennt, noch gekannt hat? Dann wird man
ihn häufig sagen hören: »Das scheint
mir ähnlich zu sein.« Wenn man nun
bedenkt, dass die berühmtesten Maler ver-
gangener Zeiten zu fast jeder Person, die
auf Figurengemälden, nicht nur auf Por-
träts dargestellt war, ein Modell hatten,
so müsste es ja beinahe auch hier nach
der Ansicht jenes Beschauers darauf an-
kommen, ob die Person, wie sie dargestellt
ist, ähnlich scheint. Welcher einigermaßen
kunstverständige Besucher der Dresdener

Gallerie hat aber an die Venus des Gior-
gione die Frage gerichtet, ob sie ähnlich
sei? Man thut nicht nur dies nicht,
sondern man unterlässt es auch, bei
der Betrachtung eines Porträts von
Tizian oder Veronese darnach zu fragen,
ob es ähnlich ist. Hier bei den alten
Werken ist man sich eher bewusst, dass
das eigentlich Wertvolle, das eigentlich
Künstlerische nicht in der Ähnlichkeit liegt,
mit der Ähnlichkeit gar nichts zu thun
hat. Es ist sehr leicht möglich, dass der
Hieronymus Holzschuher von Albrecht
Dürer seinem Urbilde frappant ähnlich
gewesen ist, aber es wäre auch das Ent-
gegengesetzte möglich, und das Gemälde
würde doch nicht an Wert verlieren.
Hieronymus Holzschuher geht uns gar
nichts an; Albrecht Dürer ist es, mit dem
wir es hier zu thun haben. Dabei ist der
Vergleich mit einem Gemälde Albrecht
Dürer’s für unsere Sache nicht einmal
besonders günstig, denn Dürer war mehr
Zeichner als Maler, er zeichnete selbst
mit dem Pinsel — die Zeichenkunst aber
hat viel mehr ein Recht zu porträtiren,
als die Farbenkunst. Nehmen wir dagegen
ein sogenanntes Porträt eines modernen
Malers als Beispiel. Glaubt man, dass
ein Porträt Whistlers ähnlich sei? Glaubt
man, Whistler habe porträtieren wollen?
Hält man bei einem Porträt Whistlers
das Porträthafte für wesentlich? Dies
ist es so wenig, dass vielmehr die Be-
zeichnung Porträt gar nicht zu passen
scheint; wie man es ja auch andererseits
unterlässt, bei einem Landschafts-Gemälde
von einem »Porträt« der Landschaft zu
sprechen. Der Maler stellt ja nicht nur
die Personen dar, sondern auch die
Umgebung derselben; und das Licht, das
die Person reflectiert, und die Luft, in
der die Person erscheint, ist hundertmal
wesentlicher, als der Gesichtsausdruck der
Person. Und die Farben der Gegenstände
der Umgebung können die Hautfarbe
der darzustellenden Person so verändern,
dass sie sogar sich selbst unähnlich
erscheint. Je nachdem das Licht fällt,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 152, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-10_n0152.html)