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das Alltäglichste vor ihm auf. Das macht:
er hat den Alltag in sich. Er hat einen
ganz besonderen Alltag in sich, der
ihn in Wahrheit wie ein unaufhör-
licher Festtag überstrahlt. Was ihm, ihm
allein ureigen ist, scheint ihm Gemeingut
aller Anderen — so mächtig herrscht es
in seinen Sinnen. Was nur die Spiege-
lung seines schöpferischen Schauens, das
wechselnde Product seiner selbstthätigen
Seelen-Mechanik ist, scheint ihm allgemein
zugänglich und offen am Tage — so
restlos erfüllt ihn die Atmosphäre seiner
Alltäglichkeit. Nur in dieser Einschränkung
und Deutung sind, deucht mir, seine
Eingangsworte zu nehmen:
»Wir wurzeln Alle im Alltag. Seine
Gewohnheiten machen für die meisten
schlechthin das Leben aus. Seine Gaben
sind die wichtigste Speise für unsere
Sinne und unseren Geist. Seine Grenzen
sind unsere Grenzen, die nur der Genius
zuweilen um eine Spanne überfliegt. In
diesem Alltag liegt etwas sehr Großes,
liegt unsere Cultur. Cultur: das ist Arbeit
der Jahrtausende und ihre Einverleibung
in uns. Die ist hundertfach in ihn legiert,
sie durchlichtet ihn ganz und gar, und
ihre Goldkörner treten noch in seinem
trägen, weichen Sand glänzend und mühe-
los zutage «
Und so sucht er die Cultur seines
Alltags in den unscheinbarsten Dingen,
Thieren, Menschen, die in der gemeinen
Alltäglichkeit daheim sind, aber inmitten
seines Bereichs alle Erdenschwere ab-
streifen und nach einem Augenblicke des
anmuthigsten Verweilens und Zögerns
urplötzlich ins Singuläre, Verwunderliche,
sagen wir: Rhythmische emporfliegen.
Indem er an allen Dingen, Thieren,
Menschen, Erscheinungen das schmäht,
was ihnen nicht immanent und nicht
der organische Ausdruck ihrer reinsten
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Wesenheit ist, das aber freudig be-
grüßt, was sich als essentiellstes Arom
aus ihrem Innersten löst und ihre ge-
heimste Anmuth verkündet, lehrt er, dass
alle innerliche Cultur, soweit sie aus
irgendeinem Alltag zu schöpfen ist, in
dem möglichsten Befreitsein von aller un-
zukömmlichen, fremdartigen, herabziehen-
den Schwere besteht. Es ist erstaun-
lich, aus welch absonderlich alltäglichen
Phänomenen er in diesem Sinne Cultur
herausholt: aus kleinen Heiligenbildern
in der Waldlichtung, aus Flocken und
Fußspuren im Schnee, aus seinem Vogel
im Käfig, aus einem wellenförmigen
Stück Hügelland, aus der Freundschaft
zu guten Thieren, aus der ästhetischen
Lust am Verlocken und Ködern, aus der
süßen menschlichen Gewohnheit des Ver-
plauderns, aus dem narkotischen Qualm
seiner Cigarre, aus dem geheimnis-
vollen Knistern und Spinnen eines ge-
heizten Ofens, aus dem lauen Hautreiz
warmer Bäder, aus den Capriolen pyro-
technischer Spiele, aus der Beflügelung
und lautlosen Beweglichkeit, die uns das
Fahrrad gibt, aus der Imaginationskraft
kluger Kinder, aus Kartenproblemen, aus der
Geschmeidigkeit eines Trapezkünsters, aus
der Zierlichkeit türkischer Schattenspiele,
aus der Geschicklichkeit der Japaner,
aus der Euphonie der Stille, aus der
Feuerbestattung, der Seelenwanderung
u. v. a.
Mögen nun Viele, sehr Viele bei
diesem Meister intuitiver Betrachtung in
die Lehre gehen und der festtäglichen
Cultur teilhaftig werden, die ihnen sein
Alltag bietet. Der Verlag aber, der sich
bislang in einem, falschen Wienerthum
gefallen hat, mag nun endlich daran-
gehen, eine künstlerische Revision seines
Programmes vorzunehmen.
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