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allen Gebieten des menschlichen Zusammen-
lebens, nicht nur auf dem wirtschaftlichen,
sondern auch auf dem geistigen, künstle-
rischen und wissenschaftlichen, geltend
machen. Dennoch ist es nicht nur schwer,
sondern auch unverständig, gegen den
Strom schwimmen zu wollen. Versuchen
wir es daher einmal, mit dem Strome
schwimmend und voranschwimmend den-
jenigen, die in den schlammigen Fluten
dieses Stromes unterzugehen fürchten
müssen, die seine vielen Strudel und
Klippen nicht zu vermeiden verstehen, den
Weg in ein klareres Fahrwasser zu weisen,
der uns zwar schließlich auf das hohe
Gedankenmeer der sogenannten Philosophie
führen wird, in diesem aber uns vielleicht
auch eine oder mehrere Inseln entdecken
lässt, auf denen wir ausruhen dürfen vom
unruhigen Kampfe des Lebens, vielleicht
gar jenes Eiland, bei dessen Schilderung
selbst ein so trockener Stilist wie Kant
sich zu dem poetisch klingenden Satze
aufschwingt:
»Es ist das Land der Wahrheit
(ein reizender Name), umgeben von einem
weiten und stürmischen Ocean, dem
eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche
Nebelbank und manches bald wegschmel-
zende Eis neue Länder lügt, und indem es
den auf Entdeckungen herumschwärmenden
Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoff-
nungen täuscht, ihn in Abenteuer verflicht,
von denen er niemals ablassen und sie
doch auch niemals zu Ende bringen kann.«
(Kants Kritik der reinen Vernunft; Reklam-
sche Ausgabe, S. 221.)
Der Mensch kann sich in diesem
Strome des Lebenskampfes nicht mit einem
Schwimmgürtel, d. h. mit einer äußerlich
angeknüpften Lehre und einer autoritären,
heteronomen sogenannten Moral behelfen
— vielmehr lehrt die tägliche Erfahrung,
wie leicht solche äußerlich angeknüpften
künstlichen Hilfsmittel in die Brüche gehen
— er bedarf einer innerlich selbst
er-
kämpften Überzeugung. Denn nur eine
solche, durch eigene Kraftanstrengung er-
worbene Kraftsammlung und Kraftsteige-
rung kann sich im Kampfe ums Dasein
bewähren.
Hierauf beruht der unschätzbar hohe
Wert einer persönlichen Weltanschauung,
die wir uns selbständig im Kampfe mit
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widerstreitenden Meinungen erringen. Es
gibt zwar heutzutage viele Menschen, die
überhaupt keine Weltanschauung haben
und gar das Streben nach solcher für ein
eitles und von denjenigen Aufgaben des
Lebens, die sie vorzugsweise praktisch
nennen, ablenkendes, zum mindesten zeit-
raubendes Beginnen halten, Solche Men-
schen aber sind blinde oder wenigstens
sehr kurzsichtige Kämpfer. In jedem
Kampfe, zumal aber in den heutigen
Kämpfen, die nicht nur im eigentlichen
Kriege vorwiegend Fernkämpfe sind,
scheint mir die Sehkraft, die richtige
Anschauung der Gesammtlage des
Kampfplatzes wertvoller zu sein als rohe
Muskelkraft.
Wir alle bedürfen als Menschen einer
Weltanschauung und als Kämpfer einer
heroischen Weltanschauung.
Da wir uns eine solche Weltanschauung
nicht wie einen Schwimmgürtel kaufen
können, so ist uns wenig gedient mit
dem Hinweis auf die stattliche Anzahl
antiker und moderner Schriftsteller, ins-
besondere Philosophen, die uns eine von
ihnen erarbeitete, oft auch nicht erarbeitete,
sondern erträumte oder gar nach dem Bei-
spiele findiger Handelsleute im großen
Warenmagazin der Geisteswerke zu-
sammengeschacherte Lehre als Wahrheit
anpreisen. Allerdings muss eine Welt-
anschauung, also auch die heroische, um
uns zu nützen, in erster Linie wahr sein.
Aber in gewissem Sinne hat Nietzsche
recht, wenn er irgendwo den Satz auf-
stellt: »Die Wahrheit ist kein (objectives)
Gut, das dieser hätte und jener nicht
hätte.« Freilich gehe ich nicht mit Nietzsche
so weit, überhaupt die Wahrheit zu
leugnen. Nur ihre rein subjective (persön-
liche) Bedeutung im Gegensatz zu einem
objectiven (für alle giltigen) Begriffe der
Wirklichkeit glaube ich zum Frommen
derjenigen, die mit mir nach einer
heroischen Weltanschauung verlangen, be-
tonen zu sollen. Dies veranlasst mich hier,
um einen bei den philosophischen Wahr-
heitsuchern beliebten Ausdruck zu ge-
brauchen, gewissermaßen eine Erkenntnis-
kritik der heroischen Weltanschauung
zu versuchen, nicht in der Meinung,
damit nach dem Vorgange Kants und
anderer »intellectualistischer« Denker (Ge-
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