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höheren Grade der Stärke anwächst, wird es
in der Regel übersehen. Dieses Activitäts-
Moment jedes Erkennens ist namentlich in
der neueren Psychologie hervorgehoben, an-
fangs besonders als Reaction gegen die Ver-
suche Condillacs und der einseitigen »Asso-
ciations-Psychologie«, alles Erkennen auf mecha-
nische Wechselwirkung zwischen ursprünglich
rein passiven Sinnes-Empfindungen und deren
Nachwirkungen zurückzuführen.«
S. 129. »Erst während des Verlaufes der
psychologischen Entwicklung tritt zwischen
Gefühl und Wille deutliche Differenzierung
ein. Es bildet sich ein immer größerer Gegen-
satz zwischen den beiden Arten, in welchen
die innere Bewegung sich Luft macht. Wir
sehen hier die psychologische Bedeutung des
Gesetzes von der Erhaltung der Energie, denn
je mehr Energie das Individuum auf die eine
Art der Reaction verwendet, umsoweniger
kann es auf die andere verwenden. Treffend
ist diese Wahrheit ausgedrückt in Saxos be-
kannter Erzählung von der verschiedenen
Wirkung, welche die Nachricht von Rayner
Lodbrogs Ermordung auf dessen Söhne machte:
derjenige, in welchem die
Gefühls-
bewegung
am schwächsten war, hatte
die größte Energie zum Handeln.*
Das Gefühl hat ebenso wie die
Er-
kenntnis
von Anfang an einen
ent-
schieden
praktischen Charakter.«
S. 237. »Das Denken ist Sache des
Willens. Der Wille aber kann nirgends
etwas aus nichts erschaffen; er kann nur das
unwillkürlich Gegebene formen und abändern.
Das logische Denken hat wesentlich einen
kritischen Charakter; es prüft, vermisst und
präcisiert das Ähnlichkeits-Verhältnis, das stets
die letzte Bedingung der Vorstellungs-Associ-
ation ist, eine Bedingung indessen, mit welcher
die unwillkürliche Bewusstseins-Thätigkeit es
nicht so genau nimmt; das Denken prüft aber
nicht allein die gegebenen Vorstellungs-Asso-
ciationen, es sucht auch neue, mit der Erfahrung
besser stimmende Associationen an deren
Stelle zu setzen. Es stellt seinen Maßstab auf
und fährt fort, zu verwerfen, bis eine Vor-
stellungsverbindung kommt, die es befriedigt.
Dieses Wählen beruht wie alles Wählen auf
einer Ähnlichkeits-Association oder einer Ver-
gleichung: Das wird gewählt, was am
genauesten und vollständigsten den
Forderungen des Maßstabes
gleich-
kommt.
Es gehört Übung zum Denken wie zu
jeder anderen Thätigkeit. Ehe Übung ge-
wonnen ist, kann oft ein Widerstand zu be-
siegen sein, und in der hierzu erforderlichen
Anstrengung tritt das Willensmoment deut-
licher hervor; das anzuwendende Princip, der
zu beachtende Maßstab muss als leitender
Gedanke (Associations-Centrum) festge-
halten werden.«
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Diese psychologischen Sätze machen
es uns begreiflich, warum sich die rein
theoretische (intellectualistische) Philo-
sophie zu allen Zeiten vergeblich abge-
müht hat, ein Kriterium der Wahrheit
zu finden. Schon die sprachstammge-
schichtliche Betrachtung des Wortes
»Wahrheit« zeigt uns, dass Wahrheit
ein praktischer Begriff ist; denn augen-
scheinlich hängt dieses bloß sprachliche,
nicht logische Substantivum mit dem Zeit-
wort »bewähren« zusammen. Wahrheit
ist nichts anderes, als was sich
be-
währt. Das alte Wort des Joniers Heraklit,
der ganz mit Unrecht der Dunkle ge-
nannt wird: der Streit sei der Vater
aller Dinge, verbreitet eine Fülle von
Licht nicht nur über die Entstehung der
Arten, sondern auch über die Entwicklung
der Weltanschauungen. Wenn das sinnlich-
geistige Wesen, das sich Mensch nennt,
— nach Ansicht vieler ist dieses Wort
identisch mit dem lateinischen mens
Ver-
stand — also philosophiert, d. h. seine
Denkkraft nicht bloß zur Beschaffung von
Nahrung und Behauptung der sinnlichen
Seite seines Daseins verwendet, sondern
auch zur geistigen Orientierung im Ge-
sammtsein, so beweist dies, dass eine
solche Orientierung, dass eine
kämpfend auf dem Kampfplatze der
Meinungen errungene Weltanschauung
eine unabweisliche Bedingung
seiner Selbstbehauptung ist.
Falsch und antiheroisch erscheint uns
daher die Behauptung des Pessimisten
Schopenhauer: jedes geniale philo-
sophische oder künstlerische Denken setze
eine Befreiung des Intellects vom Willen
voraus und entspringe einer physiologisch
zufälligen, durch die Noth des Lebens
nicht bedingten »Superfötation« des Ge-
hirns. Die Unrichtigkeit dieses Satzes er-
weist sich sogar als Inconsequenz inner-
halb des Schopenhauer’schen Systems
selber. Dem letzteren zufolge ist auch das
Gehirn ja nur ein Instrument, das der
Wille sich zur eigenen Selbstbehauptung
schafft. Nun aber thut der Wille in der
Natur nie mehr, als er unbedingt muss,
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