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mit allem verknüpft sind, was uns umgibt,
uns im Leben vorausgeht oder nach-
folgt.
Dies ist sicher in mancher Beziehung
wahr, nur nicht in Hinsicht auf die Gerech-
tigkeit der physischen Erblichkeit. Die
physische Erblichkeit hängt nicht im
mindesten von den Beweggründen der
Handlungsweise ab, deren Folgen die Nach-
kommen zu büßen haben. Zwischen dem,
was der Vater gesündigt, der seine Ge-
sundheit ruiniert hat, und dem, was der
Sohn leidet, besteht ein physisches Band,
aber die — vielleicht verbrecherischen,
vielleicht heldenmüthigen — Motive des
Vaters haben keinerlei Einfluss auf die
Leiden des Sohnes. Überdies ist das Feld
der physischen Erblichkeit ein sehr be-
schränktes. Ein Vater kann augenscheinlich
tausend ruchlose Verbrechen begangen,
kann gemordet, elend verrathen, die Un-
schuld verfolgt und Unglückliche aus-
geplündert haben, ohne dass diese Ver-
brechen im Organismus seiner Kinder auch
nur die geringste Spur zurücklassen
müssen. Er hat eben nur dafür zu sorgen
gehabt, dass seine Gesundheit keinen
Schaden erleide.
Im ganzen genommen, scheint die
Gerechtigkeit der Erblichkeit fast ausschließ-
lich zwei Verbrechen zu strafen: Trunk-
sucht und Ausschweifung. Aber der Alko-
holismus ist nicht immer ein widerliches
und verbrecherisches Laster, sondern
bisweilen weit eher eine Schwäche, und
in manchen Fällen ließe sich kaum ein
Laster denken, das weniger auf bösem
Willen und Perversität beruhen würde. Man
kann sich also nicht erklären, warum die
Moral des Weltalls ein verhältnismäßig leich-
tes Verbrechen auf so besonders furchtbare
und gewissermaßen ewige Weise strafen
sollte, wo sie doch von dem Vatermörder,
dem Giftmischer und Gewaltthätigen gar
keine Notiz nimmt. Andererseits bestraft
sich die geschlechtliche Ausschweifung
oft genug durch ein furchtbares und für
die Nachkommenschaft im höchsten Grade
verhängnisvolles Leiden, aber auch hier
liegt von Seite der Gerechtigkeit der
Dinge dieselbe Unkenntnis der moralischen
Ursachen, dieselbe Blindheit und Gleich-
gültigkeit vor. Der Act der Ausschweifung
kann in moralischer Hinsicht ungeheuerlich
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sein, er kann durch empörende Machen-
schaften eingeleitet, mit Missbrauch der
Macht, Verzweiflung und Thränen über
und über befleckt sein, er kann aber auch
der Moral nicht zuwiderlaufen und selbst
unschuldig sein — die Gerechtigkeit der
Dinge bleibt doch dieselbe. Sie tritt je
nach den getroffenen oder nicht getroffenen
Vorsichtsmaßregeln, je nach der Häufig-
keit des Actes und oft rein zufällig ein
oder nicht, aber nie im Hinblick auf den
Seelenzustand ihres Opfers. Zuletzt ließe
sich bei der Ausschweifung derselbe Ein-
wand machen, wie bei der Trunksucht:
warum diese besondere und fast ewige
Strafe für ein oft unschuldiges Vergehen?
Es gibt Acte der Ausschweifung, die in
den Augen der hohen und kalten Vernunft,
welche man bei einer allmächtigen Gerech-
tigkeit doch vorraussetzen muss, unverhält-
nismäßig weniger schuldig sind als mancher
niedrige Gedanke, manches schlechte
Gefühl, das unbemerkt durch unser Herz
geht. Schließlich wäre es — um diesen
Gedanken zum Abschluss zu bringen —
nicht schwierig, Fälle zu finden oder sich
vorzustellen, wo die Kinder und Enkel-
kinder eines sehr ehrenwerten Mannes an
ihrem Fleisch und Geist unnachsichtlich
gestraft werden, weil ihr Vater sich in
Erfüllung einer von ihm — mit Recht
oder Unrecht — als Act der Buße und
Selbstverleugnung, der Aufopferung oder
Gewissenhaftigkeit angesehenen Handlung
ein unheilbares Leiden zugezogen hat.
IV.
So ist es um die Gerechtigkeit der
Natur bestellt, soweit sie die physische
Erblichkeit betrifft! Und die moralische
Erblichkeit scheint keine anderen Prin-
cipien zu haben; nur dass hier, wo es
sich um Modifikationen des Geistes und
Charakters handelt, die ungleich verwickel-
ter, zarter und unfasslicher sind, die Er-
scheinungen weniger sinnfällig und unan-
fechtbar scheinen. Die moralische Erblich-
keit ist — wenigstens auf pathologischem
Gebiete, wo die Erscheinungen charakte-
ristisch genug sind, um etwas Entschei-
dendes hervorzubringen, — nichts als
die geistige Form der physischen Erblich-
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