Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 14, S. 252

Die Harmonie der Sphären (Bailly, Edmund)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 14, S. 252

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BAILLY: DIE HARMONIE DER SPHÄREN.

Das unten folgende Notenbeispiel will
einen angeschlagenen Ton (ut) mit seinen
harmonischen Nebentönen verdeutlichen —
das Ganze in Ziffern (von 1—16) über-
tragen; die Sonne und ihre Planeten sind
an den Punkten kenntlich gemacht, die
ihrer Distanz entsprechen. Der Register-
Umfang ist — wohlgemerkt — Fiction,
da ja Ton 1 in Wirklichkeit unhörbar
ist; das Ohr beginnt erst bei ungefähr
sechzehn Vibrationen in der Secunde
Klangwirkungen wahrzunehmen; aber es
handelt sich hier um die gegenseitigen
Beziehungen der Reihe und nicht um die

Resonanz im eigentlichen Sinne. Bei 16
brechen wir ab in unserer Reihe, weil
von den Asteroïden angefangen zuviel
Hilfslinien erforderlich wären, und weil die
Musik jenseits von Jupiter keine Zeichen
mehr besitzt zur Verdeutlichung der über-
hohen Töne, die wir den Planeten nach
Maßgabe ihrer Distanzen zugetheilt haben.
Um unser Beispiel zu vervollständigen,
bleibt uns schließlich für diese Töne nichts
anderes übrig als eine Angabe ihrer
Schwingungs-Anzahl (pro Secunde), indem
wir als Grundton ein ut von 128 Schwin-
gungen annehmen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

SONNE

VENUS

ERDE

MARS

Index 32 der ASTEROÏDEN entspricht einem ut von 4.096 Schwingungen.
52 des JUPITER la 6.656
96 SATURN sol 12.288
192 URANUS sol 24.576
300 NEPTUN mi 38.400

So setzt sich das Sonnensystem in
den gigantischen

ACCORD um:

ut ut
si ♭
mi
si ♮
ut
la ♭
sol
sol
mi ♭

der ein Diagramm von 38.272 Schwin-
gungen umspannt oder, mit anderen
Worten, den Umfang von acht Octaven
und einer kleinen Terz, was nahezu um
zwei Octaven die äußersten Grenzen des
Orchesters (zwischen dem tiefen Contra-
bass-mi und dem hohen si ♭ der kleinen
Flöte) überschreitet. Solch ein Accord ist
also — vom musikalischen Standpunkte
aus gesprochen — unausführbar. Seiner

Beschaffenheit nach vereinigt er gleich-
zeitig zwei Tonalitäten und zwei ver-
schiedene Tonarten; aber die Resonanz
der vier äußersten Noten an der Spitze
der Tonleiter nimmt immer mehr und
mehr an Takt und Stärke ab, je näher
man dem Neptun kommt, dessen mi
(38.400 Schwingungen) nicht näher be-
stimmt werden kann. Diese Intensitäts-
Abnahme muss noch fühlbarer werden,
wenn man die geringe Dichte dieser so
sehr entlegenen Planeten in Anschlag bringt
und wenn man die Klang-Intensität und
die Planeten-Dichte in das Gesetz der
Analogie einbezieht. So offenbart sich uns
eine überraschende Ähnlichkeit zwischen
der harmonischen Reihe in der Musik und
der harmonischen Reihe der Sternen-
welt, in deren innerstem Bereich sich
unsere Pläne und Träume wiegen

Zergliedert man dieses mächtig auf-
gethürmte Harmonien-Gebilde und knüpft
man die allzu auseinanderliegenden Theile

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 14, S. 252, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-14_n0252.html)