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reiche des Menschlichen belohnt sich alles,
kraft der Gerechtigkeit, mit der Münze
des inneren Glücks und Unglücks. Außer
uns, in der uns umgebenden Welt, belohnt
sich gleichfalls alles, aber Glück und Unglück
gehen nicht mehr durch dieselben Hände.
Es wird in anderer Weise und aus anderen
Gründen, kraft anderer Gesetze gezahlt.
Nicht die Gerechtigkeit des Gewissens
führt hier den Vorsitz, sondern die Logik
der Natur, die unsere Moral nicht kennt.
In uns herrscht ein Geist, der nur die
Absichten wägt, außer uns eine Macht,
die nur die Thatsachen wägt. Wir bilden
uns gern ein, sie handelten im Einver-
nehmen mit einander. Aber in Wahrheit
weiß die Macht, wenn der Geist auch
zuweilen nach ihr blickt, ebensowenig von
ihm, wie ein Mann, der in Nordeuropa
Kohlen wiegt, von einem, der in Südafrika
Diamanten wiegt. Wir bringen fortwährend
unser Gerechtigkeitsgefühl und diese außer-
sittliche Logik durcheinander, und dies ist
die Quelle unserer meisten Irrthümer.
VII.
Im übrigen stände es uns übel an,
wenn wir uns über die Gleichgiltigkeit
des Alls beklagen und sie für ungeheuer-
lich und unbegreiflich erklären wollten.
Wir haben kein Recht dazu, uns über
eine Ungerechtigkeit aufzuhalten, an der
wir selbst einen sehr thätigen Antheil
haben. Gewiss findet sich keine Spur von
Gerechtigkeit in den Unfällen und Krank-
heiten, noch in den meisten äußeren Zu-
fällen, die blind den Guten und den Bösen,
den Verräther und den Helden, die barm-
herzige Schwester und die Giftmischerin
treffen. Aber wir rechnen mit Vorliebe
eine große Anzahl von ausschließlich
menschlichen Ungerechtigkeiten, die un-
gleich häufiger und mörderischer sind, als
Stürme, Krankheiten und Feuersbrünste, zu
der Rubrik: Ungerechtigkeiten des Weltalls.
Ich rede nicht einmal vom Kriege, obwohl
man mir einwenden könnte, dass er
weniger der Natur, als dem Willen der
Könige und Völker zuzuschreiben ist; aber
die Armut zum Beispiel, die wir immer
noch unter die unverantwortlichen Übel
zählen, wie Pest oder Schiffbruch, die
Armut mit ihren grässlichen Leiden und
ihren erblichen Folgen: wie oft ist sie
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der Ungerechtigkeit der Elemente zuzu-
schreiben und wie oft der Ungerechtigkeit
unserer socialen Verhältnisse, die nichts
als die Summe aller menschlichen Un-
gerechtigkeiten sind? Warum suchen wir
angesichts eines unverdienten Elends nach
einem unerforschlichen Grund oder Richter
im Himmel, als ob es sich um einen
Blitzschlag handelte? Wissen wir denn
nicht, dass wir uns hier auf dem best-
bekannten und gewissesten Theil unseres
eigensten Bereiches befinden, dass wir es
sind, die das Elend organisieren und in
moralischer Hinsicht ebenso willkürlich
vertheilen, wie das Feuer seine Wuth und
die Krankheit ihre Leiden austheilt? Hat
es einen Sinn, sich zu verwundern, dass
das Weltmeer dem Seelenzustande seines
Opfers keine Rechnung trägt, wenn wir, die
wir doch eine Seele haben, d. h. das edelste
Organ der Gerechtigkeit, der Unschuld
von Tausenden Unglücklicher, die unsere
Opfer sind, nicht Rechnung tragen? Ist
das eine Entschuldigung, wenn wir eine
Macht, die ganz in unseren Händen liegt,
von allem, was unsere tägliche Sorge aus-
macht, ausschließen, um sie zur Schicksals-
macht zu erheben? Wahrhaftig, wir sind
sonderbare Richter und ebenso sonderbare
Freier einer idealen Gerechtigkeit! Wir
gerathen in Zuckungen von einem
Ende der Welt bis zum andern, wenn
irgendwo ein Rechtsirrthum statt-
findet, aber den Irrthum, der drei
Viertel unserer Brüder zum Elend
verdammt und ebenso menschlich ist,
wie der eines Gerichts, schreiben wir, ich
weiß nicht, welcher undefinierbaren,
unzugänglichen und unversöhnlichen
Macht zu! Wenn einem braven Mann aus
unserer Nachbarschaft ein Kind geboren
wird, das blind, blöde oder missrathen ist, so
suchen wir, gleichgiltig wo, und wäre es
in der Finsternis einer Religion, die wir
nicht mehr üben, nach irgendeinem Gotte,
um seine Wege zu erforschen; aber wenn
das Kind in Armut geboren wird, was
gewöhnlich nicht minder, als das schwerste
Gebrechen, das Schicksal eines Wesens
um mehrere Stufen herabdrückt, so fällt
es uns nicht ein, eine einzige Frage an
den Gott zu stellen, der doch überall ist,
wo wir sind, denn er ist ja ein Geschöpf
unseres Willens. Bevor wir einen idealen
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