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sollte man meinen, das eminent Anti-
berlinische, Antibrahm’sche, Antischlenther-
sche dieser Bewegung, die in England ihren
Ursprung hat, hier sympathisch berühren
müssen. Aber freilich, da man für den künst-
lerischen Kern kein Verständnis hatte, musste
man sich selber an der Nase führen, indem
man das Unberlinische, das man nicht ahnte,
als vermeintlich berlinische Importware schon
um dessentwillen geringschätzte! Ja, es gab
sogar einen Kunstkritiker, der sich durch
kleinliche Nebenmotive und Vorsichten, viel-
leicht auch durch Revanchegefühlchen localer
Art zu geflissentlicher Blindheit verdammt sah,
obzwar er sicherlich alle Instincte hat, derlei
künstlerische Experimente zu würdigen; dort,
wo er andernfalls in seinem gewohnten An-
erkennungseifer kraft seiner revolutionären
Vergangenheit seinen Jubel riskiert hätte,
spielte er plötzlich die Rolle eines mäkelnden
Cato und gab so der jüngeren Generation das
traurige Beispiel, wie man in einer Periode
der Wohlbestalltheit zum Verräther an sich
selber und an dem enthusiastischen Gehaben der
mageren, aber freien Vorjahre werden kann
In einem anderen Theile der Presse — nur
das »Fremden-Blatt« beschränkte sich auf
vornehm-künstlerische Kriterien — that der
böse Terminus »Secessionsbühne« seine
irreführende Schuldigkeit. So musste in den
Köpfen der Unbetheiligten und Missvergnügten
von vornherein das Vorurtheil entstehen, dass
man mit dem ungeheuerlichen Programm um-
gehe: secessionistische (verrückte, verschrobene,
morbide?) Bühnenwerke secessionistischer
(megalomaner, epileptoïder, snobistischer?)
Autoren von secessionistischen (rappelköpfigen,
viereckigen, ausgefransten?) Mimen secessio-
nistisch (windschief, eckig, winkelig in Stimme,
Haltung, Geberde?) darstellen zu lassen. Es
ist in der That — auch für Künstlermenschen —
nicht einzusehen, was das zeitgemäße Bestreben,
der Bühne eine einheitliche Cultur zu
geben, mit der modischen Secessionistik ge-
mein haben solle. Aber das unglückliche Wort
»Secessionsbühne« mag in einem durch-
aus anderen, ganz äußerlichen Sinne zu
nehmen sein. Der Gründer der kleinen Bühne,
der Wiener Paul Martin, einst Mitglied des
Deutschen Theaters, ist ursprünglich wohl
nur von der Erkenntnis ausgegangen, dass
auf den Erwerbsbühnen unserer Städte ein
reiner Kunststil nicht zu erreichen sei; die
Theater sind Jahrmärkte für Stückeschreiber,
Stückeprüfer, Stückespieler, nicht anders, als
es vor kurzem noch die großen Gemälde-
Ausstellungen waren, die in wahlloser An-
ordnung ohne stilgerechte Auslese just jene
Schinken präsentierten, deren pöbelmäßige
Geschmacklosigkeit des kaufkräftigen Pöbels
sicher war. Ein Häuflein eigenwilliger Enthu-
siasten secedierte nun aus den Jahrmarkts-
palästen ihrer Directoren, vereinigte sich mit
Gleichgesinnten, die ihre Brücken noch nicht
abgebrochen haben — und lediglich so, denk’
ich, ist dieser irreführende Name zu deuten.
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Curios, amüsant, vielleicht auch ein
bischen empörend ist es, mit welch bornierter
Überlegenheit man hierzulande, selbst heute
noch, einem Dichter wie Maeterlinck zu
begegnen wagt. Man müht sich ernstlich,
ihn als perversen Siechling zu denuncieren,
nennt ihn sehr humorvoll den »Obergott der
secessionistischen Literatur«, spricht von Nerven-
Überreiztheit, mystischer Heiterkeit, Gespreizt-
heit, tödtlicher Steifheit, reiht »Pelleas und
Melisande«, deren gleichsam präraphaelitische
Schönheit durch die Regie der Secessionsbühne
wie ein Wunder hervorgekehrt wurde, unter
die »Schauerkomödien« für »Absinthtrinker«
und vergleicht die Bühnenwirkung dieser
kühnen Dichtung mit der geräuschvollen Lieb-
lichkeit chinesischer Martertode Der näm-
liche Journalist, der diesen krankhaft phan-
tastischen Vergleich soeben riskierte — er
schreibt für die führende Tageszeitung der
Stadt — hat kürzlich auch (dies sei nur schlicht
constatiert) von einem künstlerischen »Dirnen-
cultus« Maeterlincks gesprochen; ein Mensch von
so unzweifelhafter Lauterkeit und Güte, wie es
der stille, hilfreiche Künstler Maeterlinck in Wahr-
heit ist, ward da (als Dichter der »Schwester
Beatrix«) nicht ohne Feierlichkeit der besonderen
artistischen Vorliebe für lasterhafte Unnatur,
Verkommenheit, Courtisanenthum etc. beschul-
digt; man schalt ihn »Poet der Hysterie«,
nannte ihn einen »unglücklichen Mann«, der
sich mit Inbrunst in seinen Wunderglauben
hineinwühle, »um das Leben der Welt zu ver-
lästern«, und verglich die Lyrik seiner Sprache
(»verzücktes Gefasel«) mit dem — »Falset eines
Cravattel-Tenors« Die also der verzeihlichen
Meinung gewesen, dass sich im Laufe der
letzten zwei Jahrzehnte (etwa unter dem geräusch-
vollen Einfluss der internationalen modernen
Production; des fieberhaften Literatur-Imports;
der zahllosen charakteristischen Premieren,
Conférencen, Enquêten; der fürsorglich
vermittelnden Essayistik, die unablässig be-
müht scheint, das Ungewöhnliche, Verwunder-
liche zeit- und kunstpsychologisch begreiflich
zu machen) der Gesichtskreis der lesenden
Menge, insonderheit ihrer schreibenden Vor-
münder, um ein beträchtliches vergrößert
oder vertieft haben müsse — die können sich
nun neuerdings recht drastisch eines Anderen
und minder Tröstlichen belehrt finden! Doch,
wer weiß — lehrt Maeterlincks Philosophie —
»vielleicht ist alles, was geschieht, zu irgend
etwas gut«. Vielleicht bedeutet es das tiefste
Unheil für den Künstler: von jedermann be-
griffen zu werden. Denn es ist wohl das vor-
nehmste und schönste Glück des Schaffenden:
missverstanden zu sein. »Groß sein heißt:
missverstanden werden«, sagt Emerson. Im
übrigen aber kann es stets nur eine Sache
der Wenigsten bleiben, der occulten Schönheit
Maeterlincks und seiner verschleierten, schein-
bar alltäglichen Weisheit, die »oberflächlich
aus Tiefe« ist, von Grund aus auf die Spur
zu kommen.
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