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Mousseline aus tausendfältigen Nuancen, die
sich mit allen Formen der Natur aufs engste
vermählt
Die alte holländische Malerei hat äußerst
selten die wahre, unmittelbare Sensation
dieser drückenden und gleichwohl leuchtenden
Himmelsstriche gegeben; aber sie gibt uns
diese Sensation fast immer indirect. Die hol-
ländischen Bilder sind gefertigt, um unter einem
holländischen Himmel betrachtet zu werden.
Dann erscheinen sie uns in Wahrheit ganz
anders. Um an den Marinen Mesdags Ge-
schmack zu finden, muss man einen nieder-
ländischen Tag suchen, an dem die Luft trotz
vielfacher Umwölkung klar und voller Licht
ist. Dann wird man die Küsten seiner Nordsee
lieben lernen, deren Wellen von trübem Grün
sind und allerwärts spiegelnde Reflexe werfen.
Das Licht ist zu kraftlos, um in das Wasser
einzudringen; es gleitet an der Oberfläche hin,
bricht sich an den Kämmen der Wogen, zer-
schellt an den Furchen. Das ist traurig, aber
sanft; und das gibt auch zahllose Ruhepunkte
für jene grelle, harte Sonne, mit der die
modernen Maler Missbrauch getrieben haben
Mesdag ist ein Holländer von bester
Tradition. Joseph Israëls sieht die Dinge
weit zusammengesetzter, complicierter und
minder ruhig. Wie einst Rembrandt, den
er ganz besonders studiert hat, ist auch ihm
alles gut genug; aus allem und jedem, das
eine Form und eine Farbe hat, vermag er
Malerei und Kunst zu machen. In der Aus-
stellung ist er durch die Boutique eines Rari-
täten-Trödlers sehr gut vertreten. Dieses Bild
ist gleichsam ein Résumé seines Talents, das
sich vor allem sozusagen aus Geschicklichkeit
und Curiosität zusammensetzt.
Mesdag und Israëls repräsentieren neben
Klinckenberg und Toorop (aus Nieder-
ländisch-Indien) das heutige Holland. Toorop
ist in diesen Blättern mehrfach in Wort
und Bild behandelt worden. Anfänglich hat
er sich von den französischen Symbolisten be-
einflussen lassen, ist aber jetzt zu den wahren
Inspirationen seiner Natur, die sich durchaus
realistisch gibt, zurückgekehrt. Er stellt nur
zwei Pastelle aus, die Denen, die ihn nicht
kennen, schwerlich einen genauen Begriff von
seiner lebhaften, leicht erregbaren und ein-
drucksfähigen Persönlichkeit geben können.
Die Belgier sind vielleicht minder inter-
essant. Zu viele Landschaften — und nicht
hinlänglich charakteristische. Dennoch bleibt
man stehen, um die melancholischen vlämischen
Altstädte Baertsoens zu betrachten; er ist
Meister in der Gestaltung dieser verlassenen
Gassen von dazumal, deren ganze Schönheit,
deren ganzes Leben ausschließlich im Male-
rischen besteht. James Ensor, Evenepoel,
Charles Mertens zeigen ein zum mindesten
technisches Talent von großer Wahrhaftigkeit;
sie wissen, wie man zu malen hat; was
ihnen fehlt, ist nur ein klein wenig mehr
Persönlichkeit. Emil Claus hat im Gegen-
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satz zu den Genannten sehr viel Sinn für das.
Decorative. Fernand Khnopff will mir nur
als trefflicher Schüler des Burne-Jones
erscheinen.
Der gegenwärtige Stand der holländisch-
belgischen Kunst ist recht ehrenwert. Aber er
macht den Eindruck eines Interregnums.
ENGLAND.
Das ist nicht, mein’ ich, das gelobte
Land der Kunst, das uns einst verheißen
wurde. England hat den interessantesten Kunst-
theoretiker dieses Jahrhunderts hervorgebracht:
Ruskin. Aber neben ihm oder in seiner Ge-
folgschaft hat man keinen Künstler gesehen,
dessen Gestaltungskraft die theoretische Höhe
dieses Großen praktisch erreicht hätte. Burne-
Jones scheint mir nicht um sehr vieles höher
zu stehen, als Cabanel oder Bouguereau;*
und Watts, der einige eher metaphysische
als plastische Gedanken hatte, war unfähig,
sie auszuführen. Wir haben im Luxembourg
einen Watts, dem aber nur der Wert
eines kunstgeschichtlichen Beispiels zukommt.
Es ist wahr, Ruskin hatte auch in praktischer
Hinsicht einen weitreichenden Einfluss; aber
dieser Einfluss mag sich lediglich auf die
künstlerischen Formen des Hausgeräths und
der Einrichtungen, auf die Gestaltung der Ge-
brauchskunst und der Mode im allgemeinen
erstreckt haben. Besondere Gewalt über die
Malerei seiner Zeit hatte er im Grunde wohl
nicht.
Die englischen Maler gliedern sich hier in
Landschafter und Porträtisten. Die Land-
schafter sind ernsthaft, schicklich, von bester
Lebensart. Sie suchen reinliche Gegenden aus,
die sich für dinners im Grünen, für garden-
parties und flirts besonders eignen. Junge
Mädchen in Weiß ruhen unter großen Bäumen
alter Alleen; neben ihnen große Hunde mit
süßen Augen Das ist alles recht lieb
und abgeschmackt; eine schwächliche, weiche,
zur Noth auch correcte Malerei. Turner,
der geniale Landschafter, bekanntlich der Vor-
fahr unserer Impressionisten, hat keinerlei
Nachkommenschaft in England hinterlassen.
Aber Reynolds und Gainsborough
haben hier einige kleine Urgroßneffen, die zwar
sehr artig, sehr gentlemanmäßig, sehr um die
Mode besorgt scheinen, im übrigen aber nicht
völlig zu ignorieren sind. Man macht in der
That noch hinlänglich gute Porträts in Eng-
land; wohl deshalb, weil das Porträtmachen
seinen Mann nährt. Watts, so mittelmäßig
in seinen Allegorien, hat bisweilen Erfolge
gehabt in dieser Kunstgattung, die im Grunde
nur ein elegantes savoir-faire voraussetzt.
Man kann hier von dem nämlichen Watts
auch eine gefällige Ansicht Neapels sehen.
Aber Watts — das ist die Vergangenheit;
die Gegenwart wäre nichts, wenn es nicht
einen Frank Brangwyn und die Maler aus
Glasgow gäbe. Die schottische Schule ist
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