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Neo-Primitiven nennen könnte, d’Espagnat,
dessen Coloristik trunken macht. Carrière
und Besnard geben neuerdings Proben
einer ganz ungewöhnlichen Gewandtheit; dies
namentlich in Werken, die flüchtig skizziert
scheinen, in Wahrheit aber Resultate der lang-
wierigsten Arbeiten und Studien sind. Unver-
gleichliche Artisten; im übrigen allgemein be-
kannt und von Amateuren sehr geschätzt.
Puvis de Chavannes, der weltberühmte
Todte, ist hier bedauerlich schlecht repräsentiert.
Ein Mann von größter Intelligenz, aber kein
großer Maler. Er wusste, wie man ein Sujet
»anzupacken«, wie man es zu erfassen hat;
verstand auch, den Vorwurf bewunderungs-
würdig zu zeichnen; die Welt der Farbe
aber war ihm so ziemlich verschlossen, und
mancherlei machte sie ihm zunichte. Seine
ungeheuere Reputation scheint nicht eben un-
verdient; gleichwohl ist es sehr wahrscheinlich,
dass sie dereinst zu Gunsten Monets und
Renoirs verblassen wird.
Die akademische Malerei ist durch ver-
dienstliche Werke vertreten. Carolus Duran
und Bonnat haben einige ihrer guten Porträts
beigestellt. Benjamin Constant fällt durch
brillante Geschicklichkeit auf. Jules Lefebure
und Bouguereau bleiben conventionell und
repräsentieren die »schöne« Kunst, die das
Kleinbürgerthum und den Pöbel verführt. Da
sind Roybet, Roll, Gervex: Ziermalerei
ohne irgendwelches Interesse; da sind auch
die seltsamen Imaginationen Henri Martins,
eines wunderlichen Künstlers, der zum min-
desten kein Durchschnitts-Talent ist. Da sind
ferner: Jean Paul Laurens, ein alter Roman-
tiker dritten Ranges; Cazin, der stets eine
gewisse Feinheit und einen bestimmten Ge-
schmack verräth, Vallon, ein geduldiger,
zahmer Maler; Alphonse Legros, ein solider,
selbstsicherer Künstler, den die Ausstellung
sozusagen entdeckt hat, da er bislang in
England gelebt und nur in dortigen Kunst-
salons bekannt war.
Weitere Namen zu häufen, wäre zwecklos;
je öfter man durch die französische Section
promeniert, desto eindringlicher wird die Er-
kenntnis, dass das ganze Interesse an dieser
Abtheilung lediglich den Werken der Im-
pressionisten (die man ausschließen wollte)
zu danken ist. Auch das Interesse an der
gesammten internationalen Kunst-Ausstellung,
als Ganzes betrachtet, ist wohl hauptsächlich
auf die Meisterwerke dieser Gruppe zurück-
zuführen. Denn es steht fest: in diesem Augen-
blick gibt es in keinem Lande (selbst in Japan
nicht) einen Maler, der mit Monet zu ver-
gleichen wäre. Sollte es mehrere Renoirs oder
Fantin-Latours geben, so habe ich wenigstens
sie nicht zu finden vermocht.
SPANIEN UND PORTUGAL.
Hier versteckt man sich noch mehr, als
in der italienischen Abtheilung. Fast gar
nichts wird sichtbar. Zuloaga, dessen
eigenartiges Talent an Goya erinnert,
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stellt nicht aus, José Villegas bringt ein
Porträt; so bleibt uns nur der vergebliche
Versuch, die Traurige Erbschaft
Sorollas zu
bewundern, der gleich Ribera für harte und
schmerzliche Sujets eine ausgesprochene Vor-
liebe hat. Er zeigt uns ein Spital rhachitischer
Kinder, im Augenblicke, da diese Unglück-
lichen aus dem Bade steigen und den grässlichen
Verfall ihrer kleinen nackten Körper sehen
lassen. Das ist entsetzlich und gerade gut
genug, ein medicinisches Buch zu illustrieren.
Wie einst Monselet der »Charogne« von Baude-
laire eine Rose vorgezogen, bin auch ich
nahe daran, den Anblick der Venus Anadyomene
dem Ausblick auf junge, bad-entstiegene Krüppel,
die sich soeben in bitterer Flut gewaschen
haben, entschieden den Vorzug zu geben. Viel
verschleudertes Talent liegt in diesem gemalten
Entsetzen! Wir wenden den Kopf den Gärten
von Granada zu, einer gefälligen Stimmung
Santiago Rusiñols, leicht hingemalt zwar,
doch decorativ und angenehm
Nach Goya und Ribera — Velasquez!
Das heißt: hier ist ein Maler, der Velasquez
nachahmt; er ahmt auch Murillo nach. Es
ist Herr Columbano aus Portugal.
Und das ist alles, was sich über die
heutige Malerei dieser beiden Länder, soweit
sie hier figuriert, bemerken lässt.
DEUTSCHLAND.
Den Franzosen ist es nicht entgangen,
dass die deutsche Malerei im Laufe der
letzten Jahre eine glückliche Wandlung durch-
gemacht hat. Sie war philosophisch, war
literarisch; nun ist sie malerisch geworden.
Man zeigt sich im allgemeinen weniger be-
strebt: zu belehren, einen Gedanken mehr oder
minder tief darzustellen — als: zu malen,
die verschiedenen Ansichten der Natur mit
Originalität und Wahrheit wiederzugeben. In
der neuen Münchener Schule macht sich
(auch für uns) eine Tendenz nach der leben-
digen Farbe und nach der Klarheit hin deut-
lich fühlbar. Man beginnt, der Dunkelmalerei
eines Fritz von Uhde und seiner gespenstigen
Erlösergestalten mählich müde zu werden. Aber
es gibt noch recht viel Unschlüssigkeit und weit
mehr Vorsätze als Erfüllungen. Die neue Farbe:
das ist der Einfluss Frankreichs; die neue
Mythologie: das ist der Einfluss Böcklins.
Hinsichtlich der einzelnen Maler notiere ich
mir Folgendes: Der verführerischeste unter den
heutigen Künstlern Deutschlands scheint mir
Hans Thoma aus Frankfurt am Main; denn
er ist der einfachste und tiefste unter ihnen;
leider sieht man hier nur ein einziges seiner
Werke, eine Landschaft. Auf Böcklin geht
(in durchaus äußerlicher Weise) Franz Stuck
zurück; es ist schwierig, romantischer und zu-
gleich schwerfälliger zu sein, als Franz Stuck.
Man muss ihm Leibl und namentlich Lenbach
vorziehen. Auch Liebermann bringt nur
ein einziges Bild: die berühmte Frau mit den
Ziegen. Neben ihm fällt Walter Leistikow
(Fichtenhain) auf. Skarbina wäre ohne seine
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