Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 303

Die internationale Kunst in Paris II. (Gourmont, Remy de)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 303

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GOURMONT: DIE INTERNATIONALE KUNST IN PARIS.

technischen Qualitäten, seine glücklichen und
discreten Lichteffecte banal.

In summa: Hat Deutschland heute auch
keine großen Maler (Böcklin ist Schweizer),
so hat es doch gute. Ein gewisses Kunstleben,
ein Leben in Gruppen, in Schulen behauptet
sich. Man sucht, man studiert. Und hat im
allgemeinen mehr Empfindung als manuelle
Begabung.

ÖSTERREICH.

Das ist ein Capital deutscher Kunst. Man
würde Österreichs moderner Kunst unrecht
thun, wenn man sie nach den wenigen
Werken abschätzen wollte, die zur Ausstellung
gelangt sind. Österreich hat uns zum mindesten
eine Lection des guten Geschmacks ge-
geben, indem es uns lehrte, wie man Gemälde
in einem Saale anzuordnen habe, ohne dass
sie sich gegenseitig erdrücken. Die öster-
reichische Section gleicht nicht, wie die anderen
Abtheilungen, der Boutique eines Bilderhändlers.
Sie stellt vielmehr wahrhaftig einen bezau-
bernden Salon dar. Leider ist durch diese
Anordnung sehr viel Raum verloren gegangen;
wenn sich das Ensemble nun auch gut macht,
so ist es doch weit entfernt davon, vollständig
zu sein.

Da ist die Philosophie Klimts, die so
viel, zu viel Lärm in Wien verursacht hat.
Eine schöne Tafel, eher gelehrt als gut compo-
niert, recht interessant, aber ein bischen confus.
Seine Pallas Athene scheint mir verdienstvoller;
man fühlt da die Einwirkung der Münchener.
Vielleicht ist ein einfaches Porträt desselben
Malers (Dame in Rosa) den genannten beiden
Bildern vorzuziehen, denn es zeugt von char-
mantem Geschmack und ist auch subtil arran-
giert. Die Kunst Josef Mehoffers scheint
mir viel solider, viel tiefer, als Klimts Ver-
suche. Seine Sängerin ist ein gutes Stück
Malerei, zugleich auch ein interessantes
Stück Sitte. Neben diesen beiden Künstlern ist
kaum noch etwas zu loben; zu erwähnen wären
etwa auch Engelhardts Pastelle (charakte-
ristische Volksscenen), dann ein Porträt Johann
Kramers und der Platzregen von Alois
Hanisch.

Alle diese Maler gehören der »Seces-
sionisten«-Gruppe an. Unter den Mitgliedern
der »Künstlergenossenschaft« thun sich die
Czechen (aber auch diese nur recht mäßig)
hervor: so Brozik, Urpka u. a.

UNGARN UND POLEN.

Man verbindet diese beiden Länder,
weil sie ein gemeinsamer Geschmack eint:
die Historie. Gestern noch konnte sich
Polen Jan Matejkos rühmen, eines der
letzten großen Romantiker; gestern noch
rühmte sich Ungarn Munkacsys, der
einen besonderen Romantismus geschaffen hat.
Dieser Romantismus war zwar recht theatra-
lisch, nicht aber ohne jede Größe. Man kann
Munkacsy unserem Roybet vergleichen, muss

aber dem Ungarn den Vorrang zuerkennen.
Ungarn hat noch einen anderen Maler von an-
erkannter Bedeutung, doch von verschiedener
Eigenart; es ist Rippl-Ronai, dessen Origi-
nalität seit langem in Paris geschätzt wird.
Er stellt ein Werk (Porträt) von bezwingend
künstlerischer Einfachheit aus.

Die Verlobung des polnischen Königs
Kazimierz Jagiellończyk mit der Erzherzogin
Elisabeth von Osterreich
— das ist der lang-
athmige Titel eines der Hauptwerke Matejkos.
Es figuriert in der österreichischen Section
und war ehemals ohne Zweifel weit interessanter
als heute. Große Compositionen (wie etwa auch
die Hochzeit von Kanaa oder die Krönung
Napoleons
) werden immer seltener. Haben wir
dies zu beklagen?

DIE SCHWEIZ.

Hätte Böcklin ausgestellt, dann wäre
der Schweizer Abtheilung ein ganz besonderes
Interesse erwachsen. Aber der Meister fehlt.
An seinerstatt sieht man seinen besten Schüler,
Hans Sandreuter: Das Thal Bavona, Die
Umgebung Basels, Der Abend
— drei Land-
schaften voller Milde und Größe. Sein
Decamerone ist nur Skizze, aber von bester
Farbe. Neben diesen Werken, die einen großen,
reinen Stil verrathen, nehmen sich Hodlers
Malereien bizarr aus. Man muss ihnen aber
einen reellen decorativen Wert zusprechen
und sie nicht sonderlich analysieren wollen.
Diese Nacht zum Beispiel (durch nackte
Figuren dargestellt, die — in schwarze
Draperien gehüllt — zu schlafen scheinen) ist
nahe daran, lächerlich zu wirken; aber das
alles ist zum mindesten nicht banal. Und besser
eine exaltierte Originalität als eine billige
Platitude.

Ein anderer, gleichfalls sehr capriciöser
Künstler, Carlos Schwabe, ist bekannter als
Hodler. Man schätzt in ihm namentlich den
Bücher-Illustrator. Er ist ein ingeniöser
Decorateur; weit mehr ein erfinderischer,
einbildungskräftiger Zauberer, als ein Maler
von Rasse. Was er macht, ist eher graziös
und artig, als schön. Seine Inspiration liebt das
Symbolistisch-Mystische. Er zeichnet recht
gut und bevorzugt die lichten Töne.

Marie Bashkirtschef hat einst das
Talent der Luise Breslau beneidet; dadurch
ist diese Künstlerin, die hier ausstellt, berühmt
geworden. Eine andere Schweizerin, Ottilie
Roederstein, hat Berühmtheit erlangt, weil
sie Porträts macht, die wie gemalte Fenster-
scheiben aussehen. Gleichfalls berühmt ist
Eugen Burnand; man weiß aber füglich
nicht, warum. Auch August Band-Bovy hätte
Ruhm erlangt, wenn er nicht gestorben wäre;
er hat landschaftliche Panoramen gemalt,
die uns die Berge seiner Heimat zeigen:
Kälteres, Traurigeres, Langweiligeres lässt
sich nicht denken.

Die Schweiz hat das Unglück, dass alle
Welt Böcklin für einen Deutschen hält.
Und in der That: ist dieser Altmeister nicht

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 303, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-17_n0303.html)