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des Plauderns oder an Haltung und Zart-
gefühl gleichkommen. Es ist die Seele,
die hindurchleuchtet und allen —
seien sie nun reich oder arm, aus dem
Volke hervorgegangen und selbständig
herangebildet oder nach dem äußersten
Ceremoniell erzogen — eine hinreißende,
unerwartete Schönheit gibt!
Zwar ist die Haltung nicht weniger
junger Künstler verletzend und zuweilen
grob; ihre berechnete Flegelei, ihr kühles
Wesen, ihre unumwundene Undankbar-
keit, ihre absichtliche Absonderung können
leicht abschrecken. Man zögert, zwischen
dieser Trockenheit und der Ausgelassen-
heit Schaunards und Rodolphes eine Wahl
zu treffen. Aber dieses Gebaren geht
wenigstens von einem Grundsatz aus, der
interessanter ist, als der geistige und
körperliche Verfall jener Murger-Helden;
es entspringt dem stolzen Entschlusse,
Zurückhaltung zu bewahren. Es dient
wenigstens dazu, eine Armut stolz zu ver-
bergen. Es dient dazu, dem größten
Schimpf von Seite der Durchschnitts-
menschen auszuweichen: dem Mitleid
der Unbedeutenden! Für die Augen der
Welt darf als letzter, äußerlicher Aus-
druck der Noth eines Künstlers nur jenes
losgelöste, erhabene Lächeln gelten,
das jedes Mitleid abschneidet und nur
Seinesgleichen Vertraulichkeiten gestattet.
Wir werden uns sicherlich eine neue Auf-
fassung über Künstlersitten aneignen und
endlich mit etwas größerer Festigkeit von
der anekelnden Tradition lossagen, denn
es ist nachgerade zu dumm, sie länger
mit sich herumzutragen. Diese unselige
Corporation der Künstler, die ihre noto-
rische Intelligenz niederhält, statt dass sie
verstehen sollte, sie allen materiellen
Bedürfnissen des Daseins anzupassen, hat
viel zu lange einen falschen Ehrenpunkt
vertreten, indem sie die Macht der geistigen
Arbeit zusammenwarf mit der Unerfahren-
heit im praktischen Leben! Sie hat der
Bourgeoisie eine Menge Vortheile über-
lassen, deren größter in einer Art solidarischen
Verhältnisses zwischen den einzelnen
Ständen besteht, das überdies durch eine
wechselseitige Nachsicht für gewisse
moralische Schwächen gestärkt wird; die
Egoisten halten gern zusammen, und nichts
festigt die Zusammengehörigkeit mehr,
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als der gemeinschaftliche Widerwille gegen
jede altruistische und empfindsame Regung!
Die Cohäsionskraft der bürgerlichen Stände
hat den Künstlern stets Schaden verursacht;
die Nervosität der Schaffenden, ihr krank-
haftes Streben nach Vollkommenheit oder
das Ungewöhnliche ihrer Lebensführung
hat sie bisweilen viel mehr, als Ehrgeiz
oder Begierde, in den Augen der Leute
verächtlich gemacht; sie werden oft zum
Gegenstand verächtlicher und giftiger
Commentare seitens mancher Bürgersfrau,
manchen Rentiers, die sich — ob ihrer
eigenen Geringwertigkeit wüthend
und im Bewusstsein ihrer eigenen
moralischen Nichtigkeit — mit Be-
geisterung hinter den Grundsätzen der
Wohlanständigkeit und Sittlichkeit ver-
kriechen, um an der von den Künstlern
gepriesenen Schönheit, an ihrem Ruhm
und ihrem verhassten Unabhängigkeitssinn
Rache zu nehmen! Die bürgerliche Ge-
sellschaft verbirgt ihre Schwächen, sie
entzieht sie der Öffentlichkeit, während
es die Künstler an dieser klugen Heuchelei
fehlen lassen. In Wirklichkeit ist die
Lebensweise der Schaffenden unendlich
biederer und reiner, als die des bürger-
lichen Standes, aber ihre Unbesorgtheit
und Eitelkeit machen mehr Lärm, als die
versteckte Verderbtheit dieses letzteren.
Eine vollständige Sittenlosigkeit ist selten
bei Künstlern. Sie beschränkt sich auf
eine meist nur eingebildete Sucht nach dem
Extravaganten und geht fast niemals aus
dem gemeinen Eigennutz hervor, wodurch
die Gefahr einer langen Dauer dieses Zu-
standes wohl ausgeschlossen scheint. Im
übrigen gilt die Regel: Um originell zu
sein, muss man fühlen lassen, dass man
nötigenfalls auch correct sein kann —
sonst ist man nur anormal und auf falschem
Wege
Wer wird wohl intelligent und fest
genug sein, die Lebensweise des Künst-
lers zu reorganisieren? Vielleicht die neue
Frau. Bei der Nachsicht, die sie gegen
dieses große, launenhafte Kind übt, wird
sie aus ihm auch einen gesellschaftlichen
Menschen machen können und seine
freiwillige Unkenntnis der Lebensformen
bannen. Die Frau wird vielleicht die noth-
wendige Vermittlerin zwischen dem Leben
und dem Künstler sein. Sie ist es schon;
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