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anders verschlungene Reime oder andere
Silbenzahl wurde doch das Princip nicht an-
getastet. Nun soll keineswegs geleugnet werden,
dass in der alten simplen Liedform nicht
immer neue Persönlichkeiten sich ausprägen
und Neues sagen könnten; aber auf diesem
Gebiete liegt nicht das eigenste, höchste Ver-
mögen der Romantiker. Rhythmus, Takt und
Reim müssen, um zu wirken, dem Unbewussten
entspringen, auf einmal da sein und mit ihrer
Ausdruckskraft jeden Zweifel, es könnte anders
lauten, niederschlagen. Diese Kraft besaßen
zwar Novalis und Eichendorff im hohen
Grade, viele andere und sehr bedeutende
Romantiker dagegen durchaus nicht, die uns
dafür einen wundervollen Schatz an Lyrik
in ihren Briefen hinterlassen haben.
Ein zweiter Einwand richtet sich gegen
die Auswahl der Gedichte. Ich habe es zwar
in jedem einzelnen Falle begriffen, aus welchen
historischen Gründen eben dieser Dichter mit
eben diesem Gedichte vertreten war; aber ich
frage mich, ob es richtig war, diese Rücksicht
überhaupt in Betracht zu ziehen. Es ist gewiss
interessant, lyrische Ergüsse von Schiller,
einem ganz unromantischen Genie, von Voss,
dem erbitterten Gegner der Romantik aus
Natur und Grundsatz, die Mancher sich ver-
leiten lassen könnte, für romantisch zu halten,
mit den echt romantischen zu vergleichen. Es
finden sich da Gedichte, die als Beispiele für
das Nichtromantische, als Folie für die übrigen
dienen zu sollen scheinen. Das setzt aber ein
literarisch sehr gebildetes Publicum voraus,
welches dann wieder der Sammlung weniger
bedürfte. Mir scheint, dass der glücklich ge-
wählte Titel »Die blaue Blume« jede allzugroße
Gelehrsamkeit, literarische Einschachtelung
und Vollständigkeit ablehnte; dass er als Ab-
sicht des Buches andeutete, das Wesen der
blauen Blume, die ein treffendes Sinnbild für
die romantische Sehnsucht nach dem Unend-
lichen geworden ist, möglichst deutlich darzu-
stellen. Unter romantischer Poesie kann man,
wenn man sich streng an die Begriffsbestimmung
der Romantiker selbst hält, alle poetische Poesie
überhaupt verstehen; aber einem größeren
Publicum gegenüber ist es sicher zunächst
mehr geboten, das Romantische im engeren
Sinne zu fassen und vorzuführen, wie es eben
auch der Titel als Meinung der Herausgeber
anzeigt.
Den Eingang der Anthologie bildet eine
Abtheilung romantischer Lyrik des XVIII. Jahr-
hunderts, der ein Motto aus der Walpurgis-
nacht passend vorangestellt ist:
In die Traum- und Zaubersphäre
Sind wir, scheint es, eingegangen.
Führ’ uns gut und mach’ dir Ehre,
Dass wir vorwärts bald gelangen
In den weiten, öden Räumen.
In Klopstock verehren wir den Vorboten
der Blüte deutscher Poesie und ebenso muthen
uns die Klänge aus dem Hainbund früh-
lingshaft lieblich an. Erstlinge der Romantik
sind diese Gedichte doch aber nur insofern,
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als sie Erstlinge der Poesie überhaupt sind.
Was haben Voss, Seume, ja auch Stolberg
und Matthisson mit der blauen Blume zu
schaffen? Viele von den hier angeführten Ge-
dichtenstehen in dem reizenden »Liederbuch für
altmodische Leute«, und es weht uns aus ihnen
in der That der Thymian- und Lavendelgeruch
jener lieben, friedfertigen, zuweilen etwas
kindischen Biedermeier-Zeit an. Nochmals gebe
ich zu, dass zum Beispiel das bekannte Ge-
dicht »In der Väter Hallen ruhte Ritter Rudolfs
Heldenarm« interessante historische Betrach-
tungen anregt und nicht nur, weil es »Romanze«
heißt, ein gewisses Anrecht hat, hier erwähnt
zu werden; es erinnert in auffallender Weise
an die fade, flache Heldengeschichte, in welche
die Romantik am Ende auslief. Aber in der
blauen Blume kann es ohne erklärende Note
den Leser nur irreführen. Wenn es sich
doch einmal um Belehrung oder Bereicherung
des Publicums handelt, sollte man es lieber
von der falschen, sehr verbreiteten Meinung
zurückbringen, als gehörten Burgen, Ritter,
Einsiedler, leidenschaftliche Scenen nothwendig
zur Romantik, und als stellte sich das Roman-
tische von selber ein, wenn man mit diesen
Gegenständen aufrückt.
Die Führer der Romantik waren vielmehr
der Ansicht, dass der Dichter die Wirklichkeit
romantisieren, also wunderbar machen sollte.
Das Mittelalter war eigentlich nur ein Noth-
behelf von Dichtern, die aus sich und der
Wirklichkeit allein das Wunderbare nicht
herausarbeiten konnten und einen durch Alter
und Entfernung stimmungsvoll wirkenden
Hintergrund unterschoben. Allerdings finden
wir infolgedessen die mittelalterlichen Deco-
rationen, die so bunte, mannigfache Lichter
auf jede Scene werfen, die sich zwischen
ihnen abspielt, sehr häufig bei den Romantikern.
Aber die Nonne, deren Geist mit dem blutenden
Herzen in der Hand umgeht und wimmert,
ist so wenig romantisch, wie Ritter Toggen-
burg, der sein Leben vor dem Kloster, das
die Geliebte birgt, verschmachtet. Ja sogar die
mit Recht berühmte Bürger’sche Lenore
behandelt zwar einen romantischen Stoff,
aber keineswegs in romantischem Geiste.
Schillers Sehnsucht »Ach, aus dieses Thales
Gründen!« ist sicherlich Sehnsucht; aber zu
klar, vernünftig und moralisch, um mit der
nach der blauen Blume gleichbedeutend zu sein.
Dass die Goethe’schen Gedichte mit
Fug und Recht an dieser Stelle stehen, versteht
sich von selbst; besonderen Dank verdient die
Mittheilung des reizend bewegten, anmuthig
träumerischen Wasserbildchens von Hölty
»Die Schiffende« und des echt romantischen:
»Ich weiß eine Mär aus verklungener Zeit:
Es liebte der Sänger die Königsmaid; o weh
ihm, er konnte nicht schweigen.« Ein Gedicht,
das dem Leser den Zauber anthut, ihm eine
Geschichte zu erzählen, und ihn zugleich etwas
unbestimmtes Anderes, was unmittelbar nichts
damit zu thun hat, empfinden zu lassen.
Es folgt nun die Früh-Romantik mit Friedrich
Schlegel, wie billig, an der Spitze. Man
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