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Es versteht sich also von selbst, dass
dieses Bestehen vernichtet würde, wenn
das Erreichen des Zieles möglich wäre.
Und diese Unmöglichkeit stellt demnach
die dritte Art Kraft dar, die uns bestehend
erhält: Empörung gegen das Verbot,
Bedürfnis des Kampfes.
Dies wusste Mephisto. Dies fühlte der
Dichter der Genesis. Und dieses weiß ich,
Verständnis besitzend für die Bitterkeit in
des Knaben Gemüth, der seine Bibel nicht
verkaufen darf, um zu anderem Wissen
zu gelangen, und nicht einmal Erlaubnis
bekommt, ein regelrechtes Räuberleben in
Italien zu beginnen.
Kampf! Warum gab »der Geist, der
stets verneint«, dem Doctor, der wissen
wollte, ein armes Mädchen zu verführen —
verführen heißt es hier; in der Welt
kommt es selten vor — warum ein
Mädchen zu verderben, anstatt ihm eine
vollständige Cirkelquadratur zu bieten?
An Stelle der Ursachen der Gesetze von
der Schnelligkeit der fallenden Körper?
An Stelle einer Antwort auf die Frage:
was wohl sein würde, wenn etwas anders
wäre, als es ist? An Stelle einer Erklärung
der magnetischen Kraft? An Stelle einer
Lobrede auf die Milz, deren hohes Verdienst
bis jetzt noch unbekannt ist?
Warum gab Mephisto an Stelle alles
dessen ein Mädchen zu erobern? Etwas
Nichtiges an Stelle des Schwierigen, das
Faust doch früher gesucht zu haben schien?
Die Antwort auf diese Frage liegt
klar zutage. Ich glaube nicht, dass der
Dramaturg Goethe ein Verdienst hat an
der Behandlung dieses Gegenstandes. Nach
dem geschwollenen Prolog hätte Faust
ganz andere Dinge begehren müssen, als
den Besitz des einfältigen Gretchen. Doch
wo der Schriftsteller Goethe einen Fehler
macht, spielt der Mensch Goethe unwill-
kürlich das enfant terrible der Wahrheit.
Mephisto schien besser zu wissen als Faust
selbst, nicht was dieser begehrte, aber
was er nöthig hatte. Gretchen? Durchaus
nicht. Kampf um Gretchen und dadurch
Kampf mit erweckter Sinnlichkeit, Kampf
mit sich selbst für ewige Zeiten. O, der
Wissenstrieb wäre schnell abgestumpft
nach der allzu gemächlichen Befriedigung
durch Teufelskunst! Eine Ziffer höher,
eine Ziffer niedriger in der Schätzung
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von Abstand oder Ausbreitung etwas
mehr verhältnismäßige Richtigkeit in der
Zerlegung eines sogenannten Grundstoffes
drei, vier Vorursachen mehr beim
Rückwärtsdenken an die nimmer gefundene
erste Ursache des Seins ach, dies
alles hätte den Doctor nicht befriedigt,
nicht thätig gehalten, nicht in Bewegung
wenigstens, und also war der Kampf, den
der Teufel als besonderen Lohn gab für
die Lieferung einer Seele, in der That
die Hauptbedingung, ohne welche diese
Seele nicht bestehen konnte. Faust begann
mit Durst nach Erkenntnis, er wurde
abgelenkt durch das Bedürfnis nach
Liebe, und als nothwendige Beigabe
wurde wider seine Absicht sein Gemüth
niedergeworfen in die blutige Arena eines
trivialen Lebens; das war der Kampf.
Ob Goethe es also gemeint hat? Hieran
zweifle ich. Doch Goethe selbst ist kein
Richter über Goethes Werke. Er, wie die
Dichter und Seher früherer Zeit werden
wohl mehrfach die Wahrheit gesagt
haben, ohne dass sie es wollten oder
wussten. Der ewige Hinblick auf die
Wirklichkeit prägt verführerische Vorbilder
ins Gemüth, und wenn man Autoren studiert,
kann man sehr oft mehr lernen aus un-
willkürlichen Fehlern als aus andressierter
Vollkommenheit. Je untadelhafter des
Phidias Werke sind, desto weniger seine
Apollos und Venussen Griechen und
Griechinnen gleichen. Die Forderung der
Wahrheit ist: Unvollkommenheit, und
demgemäß ist Goethes »Faust« ein schönes
Monument der Geschichte der Menschheit.
Und nun wieder Adam. Wie so mancher
erwachende Knabe, muss er gefragt haben:
wo doch alles hergekommen sein mochte?
Wir lachen über die stereotype Bühnen-
phrase einer Heldin, die aus einer Ohn-
macht erwacht: Où suis-je? Nun — wieder
ein Beweis, wie da Wahrheit liegt in den
Fehlern der Schriftsteller — just dieser
abgedroschene Ausruf ist die natürliche
Frage eines jeden, der zum Selbstbewusst-
sein kommt. Adam muss gerufen haben:
Où suis-je? Ja sogar: Ciel, où suis-je, d’où
viens-je?
Sicher, der »ciel« gehört dazu. Der
ist hoch, also erhaben. Von dort kommt
das Licht, also auch die Erkenntnis.
Da schweben Kugeln — ob groß oder
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