|
ungekannter Güte. Rimbaud war ein ein-
faches, männliches Princip, ein virulenter
und potenter Knabe, aber, da er zu einem
Gegenstand der Liebe gedrängt wurde,
der für ihn nicht die volle Gegensätzlich-
keit bot, so war für ihn ein volles Aus-
leben, eine volle Entwicklung unmöglich.
Apollo nahm den wächsernen Knaben
mit hinauf in die Sonnenhöhe und ließ
dann den Zerschmolzenen erbarmungslos
herabfallen.
Oisive jeunesse
A tout asservie,
Par délicatesse
J’ai perdu ma vie
sang Rimbaud nach der Katastrophe und
nachdem er mit Schrecken erkannt hatte,
was von seiner geistigen Existenz übrig
geblieben war.
Doch wir haben vorgegriffen. Nur
neun Monate hielten die beiden neuen
Freunde im gemeinschaftlichen Quartier
und unter den Augen der Frau des Hauses
und der Schwiegermutter aus: die Zeit
der gegenseitigen Kenntnisnahme, der
Erkenntnis; dann zogen die Beiden, der sich
steigernden Empfindlichkeit der beiden
Frauen ausweichend, auf die bekannte
Reise ins Ausland; eine wirkliche oder
supponierte drohende Verhaftung Verlaines
wegen Betheiligung an der Commune
bildete den Gelegenheitsgrund. Dann
kamen die »Extravagants séjours en Belgique,
en Angleterre« und wieder »en Belgique«.
Verlaine hat den Muth gehabt, diese
kostbare Camaraderie in gemeinschaftlichem
Schmausen, Kochen, Dichten, Rauchen
und Bechern in künstlerisch-freier Weise
zu beschreiben, wohl um sich selbst und
anderen Rechenschaft zu geben. Er hat
es stets behauptet und andere haben es
ihm geglaubt, dass es sich zwar um
»Homosexualité«, aber nur »au point de
vue psychique«, nicht um »Faits matériels«
gehandelt habe.
Er singt in »Parallèlement«:
Nous allions — vous en souvient-il,
Voyageur où ça disparu? —
Filant légers dans l’air subtil,
Deux spectres joyeux, on eût cru!
|
Car les passions satisfaites
Indolement outre mesure
Mettaient dans nos têtes des fêtes
Et dans nos sens, que tout rassure.
Tout, la jeunesse, l’amitié,
Et nos coeurs ah! que dégagés
Des femmes prises en pitié
Et du dernier des préjugés
Le roman de vivre à deux hommes
Mieux que non pas d’époux modèles,
Chacun au tas versant des sommes
De sentiments forts et fidèles
Die beiden Reisenden mögen wohl
aufgefallen sein. Ihr Gegensatz war scharf
genug. Verlaine war hässlich wie eine
Tigerkatze, voller Criminalität und Be-
lastungszeichen in dem Gesicht eines
Würgers. Rimbaud mignon — »si joli
et si touchant« — »un visage parfaitement
ovale d’ ange en exil« — und, fügt Ver-
laine hinzu: »des jambes sans rivales«
Das kam hinzu! Der Mann und der
Jüngling mögen in ihrem herzlichen Ver-
kehr den Beschauern wohl gelegentlich
zu denken gegeben haben. Sie kümmerten
sich nicht darum:
L’envie aux veux de basilic
Censurait ce mode d’écot:
Arous dinions du blâme public
Et soupions du même fricot
Wenn man die stürmische Gangart
dieser Verse beobachtet, die in ihrer Auf-
geregtheit, in der Unmittelbarkeit ihres
Empfindens an Heines »Wintermärchen«
erinnern, und vergleicht sie mit den frü-
heren Schulleistungen, so sieht man schon,
wie mächtig Verlaine vorwärts gebracht
worden war.
Aber auch dieser Himmel stürzte ein.
In Brüssel kam es nach einer »brève et
scandaleuse discussion«, deren Inhalt wir
mehr ahnen als kennen, zu einem Bruch
zwischen den Freunden. Mutter, Schwieger-
mutter und Gattin Verlaines eilten von
Paris herbei, um den Treulosen, da jetzt
jede Gefahr einer gerichtlichen Verfolgung
wegen des Commune-Aufstandes vorüber sei,
einzufangen. Aber Verlaine, der halb und
halb willens war, zu folgen, ernüchterte
beim Anblick der drei Damen. Er rief den
|