|
»Sie schlafen. Sie schlafen beide. Die
Kleine, Schöne in der Wiege, die Große,
Schöne im Bett.
Und die Nachtlampe brennt. Unschuldig
schwimmt der kleine Docht mit der Oblate
umher auf dem gelben Öl.
Der Vorhang zur Seite geschoben.
Draußen eine Gaslaterne.
Die Decke ist herabgeglitten. Ich werde
dich zudecken, mein schlafendes Weib. Ich
werde den Vorhang herunterlassen.
Ich will zwei Küsse auf deine Grübchen
drücken, die im Schlafe lächeln — und auf
deine Finger — und auf den Trauring.
Ich will mich leise zu dir hinschleichen,
um bei dir warm zu werden, und vergessen,
dass wir zuweilen nicht sind, wie wir sein
müssten gegeneinander.«
Ist es nöthig, zu sagen, dass dies Poesie
ist — reine, schöne, wehmüthige Poesie
voller Einsamkeit, Liebe, Klarheit darüber:
wie die Welt ist, wieviel Leid, wieviel
Freude es darin gibt? Die Worte ohne
Bilder sagen uns, wie es ist.
Wie so viele große und selbstkritische
Dichter, schrieb Obstfelder nicht viel. Das
Beste aber von dem, was er geschrieben,
einige Gedichte, »Die Ebene« und »Liv«
werden ebensolange leben, wie die besten
Werke Ibsens und Björnsons.
Obstfelder war eine leichte Beute. Er
siegte aber immer. Wie leicht war es,
zu parodieren, zu verdrehen, aus dem Zu-
sammenhang herauszureißen, wenn es sich
um einen so seltenen und eigenartigen
Menschen handelte! Er bemerkte es nicht,
zuweilen that er, als bemerke er es nicht.
Er ließ sich nicht dazu herab. Jedesmal
aber, wenn der Haufen sich über ihn warf,
gewann er einen Menschen.
Weltleute — norwegische Weltleute!
Anonyme Journalistenseelen, mit schlechten,
ungedruckten Gedichten bis zum Platzen
vollgefüllt, Verehrer des gemeinsten, des
plebejischesten bon sens, idiotische Mora-
listen — alle diese waren seine natür-
lichen Feinde. Nicht, dass er sie hasste.
Aber sie ihn. Ehre sei ihm!
Dass er, wie so viele Dichter in
unserer Zeit, von großer Intelligenz war,
trug auch nicht dazu bei, ihm Freunde
zu verschaffen. Er war ein guter Kopf.
Er dachte scharf. Und sonderbar genug,
das reizt viele thatenlustige junge Juristen,
|
Gelehrte, Ingenieure, Kritiker und Schrift-
steller. Sie meinen, allein ein Anrecht
auf Intelligenz und auf das wirkliche
Leben zu haben. Die Dichter dürfen nur
dichten. Er hatte weit mehr als die meisten
gelesen und gedacht, hatte seine hungernde
Seele mit Kenntnissen gefüllt, so dass er
imstande war, auf allen Gebieten durch
Hören und Verstehen, Fragen und Er-
klären ins Wesentliche der Dinge ein-
zudringen, wo die vielen Thatenlustigen
nie weiter als bis zur Oberfläche kamen.
Obstfelder trug nicht, wie so viele
andere Lyriker, eine Feder an seinem
Hut. Er vollbrachte keine heroischen
Thaten, weder in Versen, noch in der
Wirklichkeit; jeden Tag aber war er
muthig. Jeden Tag schien er dort furchtlos,
wo die anderen sich scheuten. Sprach
das kleine, schwere Wort aus. Stellte sich
auf die Seite der Minderzahl. Gieng zu
Denen hin, die Leid hatten. Gab hin, was
ihm Vortheil bringen konnte. Gieng die
schmalen Gassen. Wandelte im Schatten.
»Aber im dunkelsten Gange des Parkes,
wo keine Laternen brennen, sitzt versteckt
zwischen Bäumen auf einsamer Bank eine
Dirne.
Einen Schleier vor den blassen Wangen,
einen schwarzen Schleier — hinter dem
schwarzen Schleier glänzen die Augen so
seltsam.
Leise setz’ ich mich hin, ziehe schweigend
den Schleier zur Seite, senke mein Aug’ in
das ihre, meine Seele in die ihre.
Aber im Nebel fallen lautlos schwarze
Blätter, und im Dunkel versteckt sitzt auf
einsamer Bank eine Namenlose.«
Und wie er sich demüthigen konnte,
sich in den Staub demüthigen vor etwas
oder jemand, den er liebte! Wie konnte
er eine Frau, die er hochschätzte, glauben
machen, dass sie ebenso groß, ebenso
reich, ebenso sehr Mensch sei, wie er
selber! Er dachte nicht daran, dass andere
zugegen waren. Wie konnte er das Seltene
an ihr lieben, das Bewundernswerte be-
wundern, das Lächerliche verspotten; und
wie innig konnte er glauben, dass sie auf
seiner Höhe stehen müsse, eines Sinnes
mit ihm, ihm dankbar sein, weil er ihr
Lob verkündete, dankbar, weil er ihre
Seele von Dem befreite, was sie mit
den Gewöhnlichen gemeinsam hatte
Geh! Geh! riefen die anderen, die Garde,
die Schleppenträger. Und war sie schwach,
|