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zimmer der Berliner Universität ein junger
Privatdocent an mich heran und bat mich,
ihm über Nietzsche, dessen Schriften er
gelesen hatte, einiges Nähere mitzutheilen.
Ich erzählte ihm darauf von Nietzsches
absonderlichem Lebensgange, wie er seiner
Professur entsagt habe und nun als Ein-
siedler lebe, wie sich seine Einkünfte nach
Verlust des Gehalts nach dem, was Kaftan
mir unlängst darüber mitgetheilt habe, auf
ein aus drei verschiedenen Fonds zu-
sammengeflossenes Stipendium von 3000
Franken jährlich beschränkten, und wie ich
dementsprechend Nietzsche vor kurzem zu
Sils-Maria in der bescheidensten Lebens-
führung wiedergefunden hätte. Der junge
Mann hörte mir aufmerksam zu und fragte
zuletzt, ob man nicht für Nietzsche etwas
thun könne. Ich sah ihn groß an, denn
ein Privatdocent ist nicht leicht in der
Lage, noch für andere etwas übrig zu
haben, versprach indessen, die Sache weiter
zu überlegen. Wer aber beschreibt mein
Erstaunen, als ich zwei Tage darauf von
dem jungen Manne die briefliche Mit-
theilung erhielt, dass es ihm gelungen sei,
für Nietzsche die Summe von 2000 Mark
zusammenzubringen, und dass ich dieses
Geld ohne Nennung des Gebers an Nietzsche
senden möge. Ich willigte ein, der junge
Mann brachte das Geld, ich packte es ein
mit einem Schreiben an Nietzsche, des
Inhalts, dass ein Freund seiner Werke,
der nicht genannt sein wolle, ihm Bei-
liegendes schicke, und ich veranlasste den
Spender, seine Gabe selbst zur Post zu
bringen. Diese Sendung erfüllte Nietzsche
mit dem tröstlichen Bewusstsein, dass es
in der kalten, theilnahmslosen Welt doch
noch Menschen gebe, die mit warmer
Liebe zu ihm und seiner Sache hielten.
Die Vermuthung, dass ich selbst bei der
Gabe betheiligt sei, konnte ich bei der
Familie Nietzsche nur dadurch beseitigen,
dass ich ihnen den Namen des Gebers
mit dessen Erlaubnis verrieth. Übrigens
wurde das Geld nicht gebraucht, sondern
zurückgestellt, um zur Drucklegung der
Werke zu dienen, und da diese kurz darauf
anfiengen, nicht nur sich selbst bezahlt zu
machen, sondern noch große Überschüsse
zu erzielen, so hat die Gabe von damals
nur einen ideellen Wert gehabt. Am liebsten
hätte man sie zurückgegeben; aber da
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dies nicht möglich gewesen wäre, ohne
den Geber zu verletzen, so fand sich der
Ausweg, wenn ich anders hierüber recht
berichtet bin, dass man für das Geld ein
Ölgemälde Nietzsches anfertigen ließ und
im Nietzsche-Archiv aufhängte. In den
wenigen Briefen Nietzsches, die ich nach
diesem Vorkommnis noch erhielt, zeigte
sich eine beängstigende Steigerung seines
Selbstgefühls. Er sprach von seinem
Zarathustra als von einer Bibel der Mensch-
heit; das Buch solle gleichzeitig in sieben
Sprachen erscheinen und in einer Million
von Exemplaren über die ganze Erde ver-
breitet werden. Nach solchen Äußerungen
war das Schlimmste zu befürchten, und es
trat schneller ein, als man erwarten konnte.
Zu Anfang des Jahres 1889 fand man
den großen Denker, wie er sich in den
Straßen von Turin am kindischen Spiele
ergötzte, mit Geld um sich warf und
närrische Reden führte. Freund Overbeck
holte ihn nach Basel, und von dort wurde
er dem Sanatorium des Professors Bins-
wanger übergeben. Zum Schmerze seiner
Freunde wurde hier progressive Paralyse
constatiert, worauf die Mutter den hoff-
nungslos Kranken nach Naumburg nahm
und dort ihr ganzes Leben seiner Pflege
widmete. Wenn man eine Andeutung
wagte, dass unter solchen Umständen ein
sanftes Ende das beste sei, so sprach sie
den Wunsch aus, dass ihr die Pflege des
geliebten Sohnes bis in dessen höchstes
Alter vergönnt bleiben möge.
So sehr es zu bedauern ist, dass
Nietzsche die Sonne seines Ruhmes nicht
mehr konnte aufgehen sehen, so war es
doch eine gnädige Fügung, dass er von
seinem Zustande kein deutliches Bewusst-
sein hatte. Die ihn umgebenden Personen,
vielleicht mit Ausnahme der allernächst
stehenden, kannte er nicht mehr. Ich sah
ihn zuerst wieder 1889, bald nach seiner
Erkrankung. Die Mutter, »die kleine
Thörin«, wie er sie liebkosend zu nennen
pflegte, welche ihn damals noch täglich
spazieren führte, war mit ihm zum Bahn-
hof gekommen, mich und meine Frau ab-
zuholen. Auf dem Heimwege nahm ich
vertraulich seinen Arm, und er ließ es sich
gefallen, aber er erkannte mich nicht. Ich
brachte das Gespräch auf Schopenhauer,
und er wusste nur in einem Tone, als
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