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leitete mich auch zu einer Antwort, mit
der ich mich bis auf weiteres beschied.
Die Größten unter den Alten sind ganz
von ihrem Werke erfüllt, aber die Größten
der Neuen ganz von dem individuellen
Ich, das sie in ihrem Werke ausdrücken
wollen. Daraus folgt, dass die alte Kunst
das Dasein spiegelt, so wie der Künstler
es empfunden hatte, mit der Klarheit einer
ruhigen Quelle, während der Spiegel der
neuen Kunst bald dunkel und aufgewühlt
ist, bald farbenstrahlend, aber immer unruhig
wie das Meer. Nur die großen Neueren,
die gleich den Alten von ihrem Werke,
aber nicht von sich selbst erfüllt waren
— ein Millet, ein Puvis de Chavannes —
schenken denselben großen, beruhigenden
Eindruck, den man von den Alten empfängt,
die Stille der waldumschlossenen Wiese,
des mauerumschlossenen Tempels. Schon
Dante war ja so abgrundtief im Hasse,
so himmelstürmend in der Liebe, dass er
Himmel und Hölle mit seinen eigenen
Seelenbewegungen erfüllte. Und je mehr
das individuelle Selbstbewusstsein sich
entwickelt hat, desto weniger findet die
Seele des Künstlers Ruhe in seinem Werke.
Und je mehr sie über dasselbe hinaus-
schweift, desto mehr verliert der Künstler
das gute Gewissen, das ihn einst ruhig
nach der von einem Meister erhaltenen
Tradition fortfahren ließ, durchaus nicht
für seinen eigenen Theil nach Originalität
strebend, die er erreichte, ohne es zu
wissen oder zu wollen. Michel-Angelo
hat die ganze hasserfüllte Liebe der
neuen Kunst zum Stoffe, und seine Werke
stöhnen unter seinem Willen, unendlich
viel mehr zu sagen, als der Marmor aus-
drücken kann. Aber so werden sie auch
beseelt, wie die keines Anderen vor ihm.
Michel-Angelos eigener Geist ist es, der
sich unter der Kette des »Sclaven«
windet, der dem Lichte über »Davids«
Stirn den Schatten gibt, der in des
»Tages« Muskeln schwillt und in der Gestalt
der »Nacht« zusammensinkt. Und eine
der seinen verwandte Seele begegnet uns
in Rodin mit seinem unablässigen Suchen
und Finden neuer technischer Mittel —
eines wunderbarer und wunderlicher als
das andere — um so neue Seelen-
zustände oder ewige Wahrheiten auszu-
drücken: Wenn ein Donatello in Marmor
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oder Bronze die beseelten Gestalten seiner
Mitwelt festhält, ist es noch bloß das
Werk, vor dem wir stehen bleiben, während
uns bei den großen Neuen der Künstler
mehr fesselt als das Werk, das so oft
unvollkommener und — reicher ist als
die der Alten. Die Individualität kann
sich, seit sie zum Bewusstsein ihrer selbst
erwacht ist, nicht länger mit Wieder-
holungen begnügen. Die Regeln, die der
Kunst der Alten Sicherheit und Haltung
gaben, werden so von den Neuen ver-
worfen, weil diese fühlen, dass sie selbst
ihre Mittel finden müssen, ja sich nicht
einmal eine Tradition nach Dem, was sie
selbst gefunden, bilden können, da jeder
neue Seelenzustand ein neues Mittel seines
Ausdruckes heischt. Dies hat ein stetes
Suchen im Gefolge, und große technische
Siege werden nunmehr fast nur von jenen
Künstlern errungen, die die instinctiv sichere
Künstlerschaft der Hand und des Auges
zugleich mit einer unbedeutenden Persön-
lichkeit besitzen, während hingegen auch
der wirkliche Herrscher über die Form
oft machtlos vor den Forderungen steht,
die seine wunderliche Seele an sein künst-
lerisches Können stellt.
Das künstlerische Vermögen und die
Wünsche der Alten hingegen standen so-
wohl miteinander, wie mit den Forderungen
ihrer eigenen Seele und ihrer eigenen Zeit
in vollstem Einklang. Dies ist es, was sie
so einfältig, so einförmig und so holdselig
macht, wie jedes neuen Sommers neue
weiße Lilien. Sie bejahten in sich, und
begegneten außer sich Bejahungen ihrer
Mittel und ihres Zieles, sich zeitlich zu
versorgen und zu freuen und überdies ihre
ewige Seligkeit dadurch zu fördern, dass
sie als gute Arbeiter ihr Bestes thaten.
Sie malten die Qualen der Hölle ohne Wider-
spruch und die Seligkeiten des Himmels
ohne Staunen, und wenn sie in ihren
heiligen Familien ihre eigenen häuslichen
Freuden verewigten, so fanden ihre Herzen
Ruhe im Augenblick und Genüge in der
Vollendung des Werkes. Die Angst, die
der Preis des Besitzes einer Seele ist, war
ihnen gewiss nicht fremd, aber für diese
Angst fand sich eine sichere Freistatt,
und innerhalb derselben gab es immer
Altäre und Wände, wo sie Raum für die
höchsten Ausdrucksformen ihrer Kunst
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