Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 21, S. 372

Aus den Lehren der Kabbala (Hartmann, Franz)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 21, S. 372

Text

HARTMANN: AUS DEN LEHREN DER KABBALA.

Erde nicht unterworfen und wird daher
weder zu spiritistischen Sitzungen ange-
zogen, noch kann sie von Spiritisten
»citiert« werden; nur bei ganz besonderen,
außerordentlichen und feierlichen Anlässen
kann der seltene Fall eintreten, dass sie
zur Erde zurückkehrt, ohne erst hiezu
die Zeitperiode ihrer Wiederverkörperung
abzuwarten.

Der Astral-Schatten (Nephesch) ist
stumm und besinnungslos; er gleicht im
besten Falle einem Menschen im Zustande
der Betrunkenheit oder des Deliriums und
hat keine Vernunft.

Die anima bruta (Ruach) hat
einen gewissen Grad von Vernunft und
kann sich mittheilen.

Die anima divina (Neschamah),
in welcher das himmlische Licht leuchtet,
kehrt weder zurück, noch macht sie spiri-
tistische Mittheilungen auf dem gewöhn-
lichen Wege.

Dasjenige, woran sich Ruach er-
innert, ist nur die Geschichte seiner
Erlebnisse in seiner letzten Incarnation;
denn diese Geschichte bezieht sich nur
auf das eine Leben des Astral-Menschen,
und dieser wird jedesmal, so oft Nescha-
mah sich wieder verkörpert, wieder er-
neuert. Weit vorgeschrittene Seelen werden
nicht auf diesem unseren Planeten, sondern
auf einem anderen, welcher der Sonne
näher ist, wieder verkörpert. Die anima
bruta
lebt nur einmal und wird nicht
wieder verkörpert. Sie bleibt in der Astral-
Region als eine Persönlichkeit mit gewissen
Beziehungen zur Erde und behält ihre
Erinnerungen an ihre Thaten, die guten
sowohl, als die bösen. Hat diese Persön-
lichkeit Böses gethan, so leidet sie zweifel-
los, wird aber deshalb von niemandem
verdammt; hat sie Gutes gethan, so ist
sie darüber glücklich, wird aber deshalb
noch nicht verklärt. Sie setzt in Gedanken
ihre ehemaligen Beschäftigungen fort,
schafft sich durch ihre Gedanken aus dem
Astral-Lichte diejenigen Gegenstände,
welche ihrer Natur entsprechen und deren
sie bedarf, und verbleibt in diesem Zustande,
bis die anima divina (Neschamah),
deren Tempel und Wohnung sie auf
Erden war, ihren Lauf vollendet hat.

Die anima bruta oder »Persönlich-
keit« ist somit gewissermaßen das Kleid

oder die Maske, welche der himmlische
Mensch während seiner Verkörperung auf
Erden getragen und beim Tode ausge-
zogen und zurückgelassen hat; und da
derselbe sich sehr oft reïncarnieren muss,
bis er zur Freiheit, Selbstbeherrschung
und Vollkommenheit gelangt, so ist es
klar, dass die himmlische Seele sehr viele
von ihren früheren Persönlichkeiten im
Astral-Lichte haben kann, vergleichbar
einem Menschen, dessen Bild sich in
einer Menge von Krystallen wiederspiegelt.
Wenn die anima divina ihren Lauf
vollendet hat, so wird die anima bruta
zugleich mit allen Ihresgleichen, welche
dieser göttlichen Seele angehören, und
welche sie in ihren aufeinanderfolgenden
Incarnationen bewohnte und überschattete,
in das Wesen von Neschamah auf-
genommen und tritt ein in das »Paradies«.

Das ist der »Tag des Gerichts«; denn
nicht alles, was der Persönlichkeit ange-
hörte, kehrt zu Neschamah zurück. Nur
die guten Erinnerungen steigen zur gött-
lichen Seele empor; die bösen sinken
herab zu den tiefsten Regionen des Astral-
Lichtes, wo sie sich zersetzen und ver-
wesen; denn wenn die himmlische Seele
in ihrem Zustande der Vollkommenheit
für immer die Erinnerung an ihre Irr-
thümer und an die bösen Thaten, die sie
in ihren Verkörperungen begangen hat,
vor Augen haben und alle schlimmen
irdischen Zufälle, Leiden und Sorgen in
ihrem Andenken behalten müsste, so wäre
es um ihre Seligkeit übel bestellt. Somit
kehrt nur das Edle, Erhabene und Heilige
zu Neschamah zurück, vorausgesetzt,
dass es die irdische Seele hinlänglich
durchdrungen hat, um den himmlischen
Theil im Innern zu erreichen und ein
wesentlicher Theil des wirklichen Menschen
zu werden. Die Lehre, die Jeder für sich
daraus ziehen kann, ergibt sich von
selbst.

Nur dasjenige, was vom Himmel
kommt, steigt wieder zum Himmel empor.

Es ist ein großer Unterschied zwischen
der wahren geistigen Liebe und jener mag-
netischen, materiellen Anziehung, welche
man »Liebe« nennt. Man sagt, dass die
richtigen Ehen im Himmel geschlossen
werden. Damit ist gemeint, dass alle jene
Verbindungen, welche auf wahrer, uneigen-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 21, S. 372, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-21_n0372.html)