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völlig anderer, kämen wir uns selbst vielmehr
als eine zusammenhanglose Vielheit vor, so
würden wir auch daraus, aus der bloßen
Möglichkeit, dass wir überhaupt als etwas uns
vorkommen, auf die nothwendige Einheit unseres
Wesens zurückschließen, diesmal in vollem
Widerspruch mit dem, was unsere Selbst-
beobachtung uns als unser eigenes Bild vorhielte.
Nicht darauf kommt es an, als was ein Wesen
sich selbst erscheint; kann es überhaupt sich
selbst oder kann anderes ihm erscheinen, so
muss es nothwendig in einer vollkommenen
Untheilbarkeit seiner Natur als Eines das
Mannigfaltige des Scheines zusammenfassen
können.
Was uns in dieser Frage zu verwirren
pflegt, das ist das etwas leichtsinnige Spiel,
das wir so oft uns mit dem Begriffe der Er-
scheinung erlauben. Wir begnügen uns, ihm
das Wesen entgegenzusetzen, das den Schein
wirft und wir vergessen, dass zur Möglichkeit
des Scheines ein anderes Wesen hinzugedacht
werden muss, das ihn sieht. Aus der ver-
borgenen Tiefe des An-sich-seienden bricht, wie
wir meinen, die Erscheinung als ein Glanz
hervor, der da ist, ehe ein Auge vorhanden
ist, in welchem er entstände, der sich aus-
breitet in die Wirklichkeit, gegenwärtig und
haftbar für Den, der ihn ergreifen will, aber
auch dann nicht minder fortdauernd, wenn
niemand von ihm wüsste. Wir übersehen
dabei, dass auch in dem Gebiete der sinnlichen
Empfindung, dem wir dieses Bild entlehnen,
der Glanz, welcher von den Gegenständen
ausgeht, eben nur von ihnen auszugehen
scheint, und dass er selbst nur deswegen
scheinen kann, von ihnen zu kommen, weil
unsere Augen dabei sind, aufnehmende Werk-
zeuge einer wissenden Seele, für welche über-
haupt nur Erscheinungen entstehen können.
Nicht um uns herum breitet sich des Lichtes
Glanz aus. sondern diese wie jede Erscheinung
hat ihr Dasein nur in dem Bewusstsein Dessen,
tür welchen sie ist. Und von diesem Bewusst-
sein, von dieser Fähigkeit überhaupt,
irgend etwas sich erscheinen zu
lassen, behaupten wir, dass sie nothwendig
nur der untheilbaren Einheit eines
Wesens zukommen, und dass jeder Versuch,
sie einer irgendwie verbundenen Mannigfaltig-
keit zuzuschreiben, durch sein Misslingen unsere
Überzeugung von der übersinnlichen
Ein-
heit der Seele bestätigen wird!«
Wenn wir demnach den Individualis-
mus als rocher de bronce unserer Welt-
Anschauung stabilieren, so meinen wir
damit, dass eine übersinnliche Kraft-
einheit den letzten Kern unseres Wesens
ausmacht. Damit treten wir in Wider-
spruch zu allen Philosophen und Psycho-
logen, die unser seelisches Sein mit dem
(empirischen) Bewusstsein völlig identifi-
cieren. Denn diese Krafteinheit, Monade im
Sinne Giordano Brunos, ist nicht sowohl
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das aus mannigfachen Vorstellungen, Em-
pfindungen, Strebungen zusammengesetzte
empirische Ich, sondern dessen Urquell.
Mit du Prel halten wir also dafür, dass
unser (sinnliches) Bewusstsein die Seele
nicht erschöpft. Die Seele ist vielmehr
die Potenz, das Vermögen, das Bewusst-
sein, dessen actus, Thätigkeit, Wirkung.
Die Kategorien: Vermögen und Verwirk-
lichung sind, wie Ursache und Wirkung,
womit sie völlig identisch sind, unerläss-
liche, erkenntnistheoretische und meta-
physische Voraussetzungen, um uns
selber und die Welt zu begreifen. Von der
richtigen ontologischen Würdigung dieser
Kategorien hängt die Signatur des ganzen
philosophischen Denkens ab. Freilich, wenn
wir dem Causalitäts-Princip bloß sub-
jective Bedeutung beilegen, muss sich
uns die ganze Welt zu einem trügerischen
Schein (Sansara) verflüchtigen, und nicht
nur die äußere Welt, sondern auch
wir selber. Legen wir ihnen aber eine
ontologische Geltung bei, setzen wir vor-
aus, dass wirklich etwas geschieht, dass
das Sein ein Werden ist, so müssen wir aus
der Einheit der Bewusstseins-Synthese auch
auf die Wirklichkeit einer einenden
Kraft schließen.
In gewissem Grade ist daher selbst
der Materialismus und Positivismus, soweit
er nicht bis zum erkenntnistheoretischen
Skepticismus vorschreitet, metaphysisch
und sogar in gewissem Sinne indivi-
dualistisch, sofern er nämlich ato-
mistisch ist.
»Kein Stoff ohne Kraft! Keine Kraft
ohne Stoff!« wiederholt ja in jedem Capitel
seines Buches »Kraft und Stoff« sein be-
rühmtester moderner Apostel Ludwig
Büchner. »Keine Thätigkeit ohne Sub-
ject« wäre wohl richtiger. Er gibt eben
für Jeden, der an die Möglichkeit irgend-
welcher Wahrheit glaubt, auch apriorische,
d. h. keineswegs angeborene, wohl
aber mit Notwendigkeit vorauszu-
setzende, selbstevidente Wahrheiten,
und dieser Satz ist eine solche, wie das Cau-
salitätsprincip. Der Skeptiker zwar beruft
sich auf den durch letzteres angeblich ge-
forderten progressus in infinitum. Aber das
Causalitätsprincip besagt nur, dass jede
Wirkung eine Ursache haben muss,
nicht dass jede Wirklichkeit eine bloße
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