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verdorben ist; besonders leiden darunter die
Orte des Vergnügens, die für wesentlich rohere
Nerven zugeschnitten sind, als es früher üblich
war. Zumal der Montmartre hat viel Originalität
eingebüßt. Da kann man Herren mit vernarbten
Gesichtern um horizontale Reize von vor-
wiegend Wiener Herkunft feilschen sehen.
Schlimmes hat hier das zusammengehorchte
Buch von Gensel angerichtet. Da ist zu lesen,
wie man es anzufangen hat, um sich, ohne der
persönlichen Würde, resp. dem Portemonnaie
zu nahe zu treten, von den im allgemeinen ver-
werflichen Reizen der Weltstadt ein wenig
kitzeln zu lassen (da man nun doch einmal
das Eisenbahn-Billet bezahlt hat); es wird auch
zart angedeutet, wo man am besten ohne
Damen hingeht. Nur schade, dass Herr Gensel
den ehedem so behaglichen Montmartre ver-
rathen musste. So kann man denn in den Abend-
stunden Berliner Krämer, sächsische Gymnasial-
lehrer und Münchener Fleischermeister, ihren
Gensel im Lodenrock, vor dem Moulin Rouge
und bei Bullier Queue stehen sehen.
Man sagt, die Nationen seien sich durch
die Ausstellung näher gerückt worden. Vielleicht
kann man in diesem Winter in Deutschland
ein paar schöne Frisuren und Hüte zu sehen
bekommen, während sich die Pariser kaum in
Loden kleiden werden. Unsere massive In-
dustrie hat ihnen imponiert, unsere üble Art
der Kleidung hat sie belustigt. Im ganzen
scheint deutsches Wesen für sie eine Mischung
unleugbarer Tüchtigkeiten und erstaunlicher
Bizarrerien, denen wohlwollend gegenüberzu-
stehen augenblicklich die Mode wird. Sie wollen
nicht einmal zugeben, dass unser Pavillon auf
der Rue des nations hässlich ist. Übrigens ist
er nichts weniger als deutsch: ein überladener
Berliner Bierpalast, im Innern die Nachahmung
einer Nachahmung des französischen XVIII. Jahr-
hunderts. Es war gewiss sehr höflich, dass
Wilhelm II. den Franzosen einmal ihre schönsten
Watteaus lieh; aber war es nöthig, ihnen für
ungeheuere Summen eine getreue Nachbildung
der Gemächer von Sanssouci zu zeigen? Hätte
man — da eine Coulisse nun einmal nöthig
war — nicht besser ein Nürnberger Bürger-
haus oder einen mitteldeutschen Barock-
palast nachbilden können? Aber solche Stile
gelten heute im Reiche nicht für vornehm;
die Berliner nennen so etwas, glaube ich,
»pover«. Hätte man der französischen
Wagner-Begeisterung nicht mit einem kleinen
Museum begegnen können? Auch ein wenig
Heine hätte nicht geschadet. Die Franzosen
interessieren sich doch für ihn. Gluck, Heine,
Wagner und noch manche andere haben in Paris
eine deutsche Tradition hinterlassen, die man
noch ebenso spürt, wie in Rom den Athem
Winkelmanns und Goethes. An diese deutsche
Culturgeschichte in Paris hätte man anknüpfen
müssen, um den Franzosen geistig näher zu
kommen, woran uns ja immer soviel gelegen
scheint. Bei unseren deutschen Zuständen wäre
es fast unbescheiden, gar noch verlangen zu
wollen, dass man bei der inneren Ausgestaltung
des Pavillons ein wenig auf unser werdendes
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Kunstgewerbe hätte Rücksicht nehmen können,
zumal, da das decorative Hauptstück an der
Invaliden-Esplanade, der Saal Melchior Lechters,
als verfehlt betrachtet werden kann. Der durch
seine Buchausstattungen und Glasfenster so
rühmlich bekannte Künstler scheint mit dem
Raum architektonisch nichts anderes anfangen
zu können, als ihn mit allzuvielen, theilweise
hübschen Kleinigkeiten auszufüllen, die farbig
kaum zu einander passen und den gewollten
Eindruck der Feierlichkeit völlig hindern. Der
österreichische Ehrensaal, wie der Aufbau aller
Abtheilungen dieses Landes überhaupt, be-
weist, dass das so junge Wiener Kunstgewerbe
doch schon zu wesentlicherer Einheitlichkeit
und Geschmacksklärung gediehen ist. Unsere
Ausstellung hätte im ganzen charakter-
voller deutsch und weniger imperialistisch
sein dürfen. Besonders diese Pavillons sollten
doch in dem Beschauer die einheitliche
Empfindung nationaler Eigenarten hinterlassen,
wie es den Amerikanern, Engländern und
Skandinaviern so gut gelungen ist. Für die
gewerblichen Erzeugnisse waren ja anderwärts
weite Räume angewiesen. Die Amerikaner
haben überhaupt nichts in ihrem Pavillon, als
sehr bequeme Stühle für ruhebedürftige Lands-
leute. Wenn man einige Minuten drin war,
hat man jedoch die lebhafte Sensation amerikani-
schen Lebens. Unser Pavillon ist natürlich
einer der »reichsten«, und man erhält insoferne
einen deutschen Eindruck, als Überladung,
Prunk neben Geschmacklosigkeit, allgemeine
Verwirrung in der Schätzung der Culturwerte
die Kennzeichen des heutigen Deutschthums
zu sein scheinen.
Die einzigen Leute, die bei allen Unbe-
quemlichkeiten und Banalitäten der Ausstellung
Wesentliches hier finden konnten, sind gewisse,
sehr feine Europäer, die gleichzeitig Folgendes
bewundern durften: die sonst verborgensten
gewerblichen Kunstschätze Frankreichs im Petit
palais, die fast ebenso geheimgehaltenen Bilder
des französischen XIX. Jahrhunderts der Centenar-
Ausstellung, die auf Daumier, Millet, Monticelli,
Chassèriau, Gustave Moreau, Degas und manchen
Andern ganz seltene Überblicke gestatten, die un-
erhörten Gobelins des spanischen Pavillons, die
phantastischen Geschmeide Laliques, die einen
Moreau entzückt haben müssen, Gebilde voll
trunkener Lust am flimmernden Gestein, ohne
die übliche Sucht nach glatten Flächen und
geometrischen Figuren, Zusammengliederungen
aus seltsamen, opalisierenden Abfällen und
missrathenen Perlen, leuchtende Orchideen
aus Edelstein; dann die Rodin-Ausstellung, über
die schon soviel gesagt wurde, und in aller-
erster Linie Sada Yacco, die große japanische
Tragödin, seit der Duse wieder das erste euro-
päische Ereignis in der Schauspielkunst. In
das mit dunklen Stoffen verhängte, kleine
Theater, das die Loïe Fuller ins Leben rief,
soll man nur die Augen mitbringen. Irgendwo
wird eine verstohlene, armselige Musik ge-
macht, um die Ohren einzulullen. Man soll
nur sehen. Die Handlung ist leidenschaftlich-
banal, brüllend wie das Leben, so etwa,
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