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mehr nach dem Feuilleton hin entwickeln
werde, als bisher. Dies bestätigt sich durch
viele Thatsachen; ich erinnere nur an die
vornehmste — an die Schriften Friedrich
Nietzsches. Auch dies ist zu berück-
sichtigen, wenn wir an die Erscheinung
Multatulis herantreten.
Veranlassung, mich eingehender mit
Multatuli zu beschäftigen, wurde mir durch
ein Unternehmen des Verlages J. C. C.
Bruns.* In diesem Verlage veröffent-
lichte Wilhelm Spohr die Werke des
großen Holländers; bis jetzt brachte
er drei (mit einer ausführlichen Ein-
leitung und Biographie versehene)
Bände heraus, denen im Laufe dieses
Jahres noch weitere Bücher folgen sollen.
Mit zwei Porträts des Dichters, einem
Facsimile seiner Handschrift und einer
schönen, sinnreichen Titelzeichnung von
Fidus geschmückt, ist es eine in jeder
Hinsicht würdige Ausgabe, deren Her-
stellung sich der Verlag mit Lust und
Eifer gewidmet hat. Der erste Band ent-
hält die erwähnte, sehr ausführliche und
liebevolle Einleitung Spohrs und im übrigen
eine Auswahl aus den Werken Multatulis;
der zweite Band bringt seinen großen Colo-
nial-Roman »Max Havelaar«, der dritte
sein Werk »Liebesbriefe«. Diesen Bänden
werden zunächst folgen: »Millionen-Stu-
dien«, das Drama »Fürstenschule« und
die »Geschichte des kleinen Walter
(Aus dem Seelenleben eines Kindes)«. Zehn
Jahre nach des Dichters Tode ist dies Unter-
nehmen der erste Versuch, uns Deutschen
die Bekanntschaft mit Multatuli zu ver-
mitteln.** Möge er glücken! Denn die Er-
scheinung Multatulis ist das Einzige, was
die holländische Literatur des vergangenen
Jahrhunderts der Weltliteratur zu bieten
hat, und es gesellt sich vollwertig zu Dem,
was Tolstoj, Ibsen und Nietzsche uns ge-
worden sind
Die Fundamental-Tugend eines Dichters
ist nach einem Goethe’schen Ausspruch
die Wahrhaftigkeit. Wenn dies nun schon
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z. B. bei Goethe selbst in dem Sinne
gilt, dass sein Leben innigst mit seiner
Dichtung verwoben ist, so ist es wohl
noch weit mehr bei Multatuli der Fall.
Sein Leben ist nicht nur mit seiner Dich-
tung verwoben, beide sind bei ihm
identisch. Alle seine Werke sind sein
Leben und seine Schicksale und tragen
den Charakter der Confession und Selbst-
biographie. Multatuli sagt selbst gelegent-
lich: »Eine gute Analyse meiner selbst
ist schwer. Dies zuerst: Alles, was ich
öffentlich schrieb, ist wahr.« Und an einer
anderen Stelle spricht er aus: »Stil ist
keine Kunst, oder ein Künstchen; er
sprudelt allein aus dem Herzen heraus.«
Wenn wir jetzt also zunächst in großen
Umrissen einen Überblick über seinen
Lebensgang geben, so wird uns das Wesent-
liche zum Verständnis seines Werkes an
die Hand gegeben sein.
Multatuli (Pseudonym für Eduard Dou-
wes Dekker) wurde am 2. März 1820 zu
Amsterdam geboren als Sohn des Kauffahrtei-
Capitäns Engel Douwes Dekker. Er besuchte
zunächst die Lateinschule, gieng dann aber
zum Handelsberuf über. Da ihm indessen auch
dieser keine Befriedigung zu gewähren ver-
mochte, zog er 1838 im Alter von 18 Jahren
auf dem Schiffe seines Vaters nach Ost-Indien,
um sich in den holländischen Colonien auf
Java dem Staatsdienste zu widmen. Er be-
gann seine Carrière 1839 zunächst als Kanzlist
(Klerk) bei der Allgemeinen Rechenkammer
in Batavia ohne Besoldung. 1840 war er be-
reits zum zweiten Schreiber (Kommies) mit
einem monatlichen Gehalt von 220 Gulden
avanciert. 1851 finden wir ihn als Assistent-Resi-
denten, Magistrats-Oberhaupt und Garde-Com-
mandanten zu Amboina mit einem monatlichen
Gehalt von 500 Gulden. 1856 ist er dann
Assistent-Resident von Lebak. Am 4. April
desselben Jahres wird er auf sein Ansuchen
ehrenvoll aus des Landes Diensten verabschiedet.
— So reich an Ehren diese 17jährige Carrière
für ihn war, so reich war sie auch an Wider-
wärtigkeiten. Denn bei seinem lebhaften und
activen Temperament, bei seinem ausgeprägten
Drang zur Initiative, bei seiner großen Selbst-
ständigkeit und seinem starken Gerechtigkeits-
sinn, der keinerlei Unrecht zu dulden ver-
mochte, kam er mit lässigen und selbstsüch-
tigen Vorgesetzten oft in Conflict; denn die
holländische Colonial-Verwaltung war damals
alles eher, als eine musterhafte, wenn sie sich
nicht gar in vieler Hinsicht den Eingeborenen
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