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gegenüber als eine geradezu barbarische und
inhumane erwies. Zudem ward er infolge
seiner hervorragenden Fähigkeiten oft auf ver-
lorene Posten geschickt und in Districte, die
zum Aufstand neigten; und obgleich er sich
hier trotz Lebensgefahr und hundert anderen
Misshelligkeiten vorzüglich bewährte und bei
Eingeborenen wie Holländern durch seine
suggestive und machtvolle Persönlichkeit und
seine menschlich liebenswürdigen Eigenschaften
sehr beliebt war, so hatte er doch auch wieder
infolge all dieser Vorzüge viel Verdruss seitens
einer Verwaltung zu erfahren, die die uner-
hörtesten Unredlichkeiten in der Amtsfüh-
rung, Unterdrückungen und Aussaugungen
der eingeborenen javanischen Bevölkerung sich
zu Schulden kommen ließ oder sie dul-
dete und oft nichts anderes erstrebte als: sich zu
bereichern. Bei seinem angeborenen Drange,
zu helfen, der seine schönste Tugend und oft
auch wohl seine Schwäche war, blieb er,
selbst in seinen finanziell besten Zeiten, arm.
1845 lernte er auf Java seine nachherige Frau,
Everdine Huberte, geb. Baronesse von Wyn-
bergen, kennen, seine Tine, seine getreue und
ausdauernde Lebensgefährtin, die er 1846
heiratete und die ihm auf Java zwei Kinder
schenkte. Nach seiner Entlassung, die unter
den verdrießlichsten Umständen vor sich gieng,
kehrte er blutarm mit Weib und Kind nach
Holland zurück und lebte hier in den nächsten
Jahren infolge drückendsten Mangels, von
den Seinen getrennt, in bitterster Armut,
ohne sich von der Regierung sein Recht und
eine Besserung seiner äußeren Lage erwirken
zu können. Im Winter 1859 schrieb er dann
in Brüssel, »in einer Kammer ohne Feuer,
theils an einem wackligen und schmierigen
Herbergstische, umringt von gutmüthigen,
aber ziemlich unästhetischen Biertrinkern«,
seinen Roman »Max Havelaar«, oder, wie der
volle Titel lautet: »Max Havelaar oder die
Kaffee-Auctionen der Niederländischen Handels-
Gesellschaft«. Das Buch erschien im Mai 1860
in Amsterdam bei de Ruyter. Es wirkte wie
ein Blitzstrahl in die bisherige Atmosphäre
der Spießbürger-Behäbigkeit und Moralisiererei.
Es enthüllte mit völliger Rücksichtslosigkeit
alle Krebsschäden der damaligen hollän-
dischen Colonial-Verwaltung von Ost-Indien auf
Grund eines reichen Acten- und Thatsachen-
Materials. »Dieses Buch«, wie der Abgeordnete
Van Hoëvell das Werk damals in der zweiten
Kammer charakterisierte, »ließ ein gewisses
Schaudern durch das Land gehen, und große
Beunruhigung, ja Entrüstung ist in Vieler
Gemüth wach geworden«. Obgleich der Roman
in rascher Folge eine Auflage nach der anderen
erlebte, besserte sich Multatulis finanzielle
Lage um nichts, und nach wie vor lebte er
in der drückendsten Nothlage. Mehr als einmal
litt er damals Hunger. Er schlug sich von
einem Ort zum anderen im Land herum, trieb
sich auch in der preußischen Rheinprovinz
umher. Erst später besserten sich, durch
glückliches Spiel in Homburg und durch
Vorträge, die er hielt (er war ein gefeierter
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Redner), seine Verhältnisse, nachdem auch
andere Werke von ihm erschienen und in
Aufnahme gekommen, und der erste Wider-
stand der Kritik, die sich aus Pastoren- und
Lehrerkreisen recrutierte, überwunden war.
Vorübergehend konnte er sich wieder mit
seiner Tine und den Kindern vereinigen, war
aber gar bald, neuen drückenden Geldmangels
wegen, abermals genöthigt, sich von seiner
Familie zu trennen. Tine gieng mit den
Kindern zu einer Freundin nach Italien, um
dort durch Stundengeben ihren Lebensunterhalt
zu gewinnen. In dieser Zeit kam Multatuli in
ein Verhältnis zu einer jungen Lehrerin, namens
Mimi, mit der er in Tines Abwesenheit (mit
deren Wissen) zusammenlebte, bis er sich in
den Siebzigerjahren, nach dem Tode Tines,
mit ihr verheiratete. Seine Verhältnisse besserten
sich in dieser Zeit. Er zog mit Mimi nach
Deutschland, wohnte zunächst in der Mainzer
Umgegend, siedelte dann nach Wiesbaden über
und kam dann endlich in Nieder-Ingelheim
in Rheinhessen zur Ruhe. Er starb hier als
Besitzer eines Landhauses Ende der Achtziger-
jahre nach einem Leben reich an Kümmer-
nissen, Kränkungen und Entbehrungen.
Dies ist in groben Zügen Multatulis
äußerer Lebensgang, der Lebensgang eines
Genies und einer Kämpfernatur, die sich
ihr Lebtag mit der Convention und
Heuchelei herumschlug, als ein leiden-
schaftlicher Anwalt der Armen, Unter-
drückten, von der gesellschaftlichen
Moral Verfehmten, denen er stets, in
glücklichen wie unglücklichen Tagen, nach
bestem Können ein treuer, selbstloser Helfer
gewesen—vielleicht bisweilen aus einem Ge-
müth, das bei aller Mannhaftigkeit und Acti-
vität bis zur Schwäche gutherzig war. Denn
die vornehmsten Kennzeichen seiner Per-
sönlichkeit sind: Ritterlichkeit, wetterharte
und kampffrohe Männlichkeit, zugleich
eine Dichternatur, die etwas überaus
sympathisch Kindliches hat, und ein un-
verwüstlicher Frohsinn, so recht nach dem
herrlichen Worte der Edda: »Heiter sei
der Mann bis zum Todestag« — jener erd-
zugewandte Frohsinn, der die schönste
Tugend ausmacht, mit der sich moderne
Ethik und Lebensauffassung aus den
Finsternissen des weitabgewandten Mittel-
alters losringen. Wieviel Mannheit und
unverwüstliche Kraft, wieviel erdfrohes
Dionysierthum, wieviel Hellenismus liegt
zum Beispiel in diesem Ausspruch von
ihm: »Wenn ich Gott wäre, würde ich
einen Propheten senden mit der Botschaft,
dass ich viel hielte von Licht, Luft, Leben,
Farbe, und dass ich Lust hätte an Fröh-
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