|
Kern, denn Bitternis liegt auf dem Grunde
aller Größe. Da kann man sich denn
nicht wundern, dass auch ein gedanklich
ebenso groß, aber noch reicher angelegter,
keineswegs wie Marlowe von realistischer
Lebensgestaltung entblößter Dichter von
seinen Landsleuten mit Füßen getreten
wurde. Immer noch zählt Grabbe wie bei
Lebzeiten glühende Bewunderer, meist
aber Leute, denen vielleicht gerade Grabbes
unleugbare Schwächen imponieren, wo
das Genie aufhörte und ein undichterischer
Prahlhans Ohnmachtsanfälle für Genie-
verzückung ausgab. Grabbes Größe schätzt
man nur richtig ab, wenn man seine
Verkrüppelung klar erkennt, wovon das
Professorengeschwätz über den »thörichten
Grabbe« weit entfernt ist. Seine Mängel sind
nämlich untrennbar mit seiner Eigenart
verflochten, nicht irgendwie äußerlich
durch »Mangel an Selbstzucht« (o liebliche
Cliché-Phrase!) entstanden. Gewiss, ein
Dichter, dem das Ewig-Weibliche der
Natur so fern lag, wie Schiller und Wilden-
bruch, der uns freilich in klarem Fühlen
dieser Gemüthsöde auch möglichst wenig
mit »edlen Frauengestalten« behelligte,
wird nie zum Dichterisch-Kosmischen der
großen Weltdichter ausreifen. Jedenfalls
macht es einen kläglichen Eindruck, wie
dieser scharfe, satirisch-tragische Charak-
teristiker sich mit ein paar eiligen Clichés
abfindet, wenn er einmal nothgedrungen
eine Frau reden lassen muss. Selbst seine
so gesund einsetzende Thusnelda zerrinnt
bald zum Schemen. Aber diese tiefe
Interesselosigkeit für das Weibliche und
Sinnliche — sein Cynismus ist eine äußer-
liche Farce, wie oft blöde Keusche gern
den Don Juan bramarbasieren — hängt
eben innig mit der ernsten Hyper-Männ-
lichkeit eines Geistes zusammen, den nur
das Heldische und Historische mit weiter
Ideenperspective anzogen. Man begreift,
warum der ästhetisierend künstelnde Hebbel
eine alberne Verdammung über Grabbe
erließ, die in anderem Sinne besser auf
Hebbel selber passte, denn krampfhafte
Ohnmacht ist ein Zustand spintisierender
Kunst, nicht elementarischer Natur, und
was dem Banausen als Grabbes Unnatur
(d. h. Übernatur) erscheint, das war ihm
Natur. Deshalb sprach sich der natur-
frische Heine mit nobler Anerkennung über
|
diesen Berserker aus, der selbst Heines
Minneschmerzen verhöhnt hatte. Des-
gleichen deckt sich Grabbes »verfehlte«
Form innig mit dem Inhalt, der nur so
sich verkörpern konnte. Verfehlt freilich
musste man sie insofern nennen, als er,
der nichts als Dramen schrieb, kein
Dramatiker war. Nicht etwa wegen seiner
Verachtung praktischer Schneiderellen-
Technik der Bühne, denn hiemit verbanden
englische und spanische Renaissance-
Dramatiker den echtesten dramatischen
Impetus, wie ihn niemand bis zur Jetzt-
zeit wiederfand; solche Äußerlichkeiten
sind nur für den großen Haufen da, zu
welchem wir auch die Seichtbolde unserer
»Kritik« rechnen; wohl aber, weil er vom
wahren Wesen dramatischen Conflicts
nichts wusste. Nur sein wilder »Gothland«,
den Hohlköpfe belächeln, hat wirklich etwas
davon, ebenso das dämonische Gedanken-
werk »Don Juan und Faust«. (Wie be-
zeichnend, dass Grabbe erst da drama-
tische Spannung erreicht, wo das Meta-
physische beginnt!) Aber auf diesen
Werken beruht ja nicht seine wirk-
liche Originalität, sondern auf der Drama-
tisierung hochpolitischer Staatsactionen
und Weltgeschichts-Krisen. Hiervon sind
auch die zwei Hohenstaufen-Dramen aus-
zuscheiden, die Unreife wohl gar am
höchsten stellte. Denn, so Herrliches sie
unter rauher, stacheliger Schale enthalten,
rast in ihnen doch ein mehr Schiller’sches
als Shakespeare’sches Element theatralischer
Rhetorik. Dazu kommt die ungefüge Jamben-
sprache, die Grabbe mit liederlicher Non-
chalance behandelte. Nicht zwar, als ob
es ihm an sprachlicher Schönheit fehlte.
Auch dies ist nur Legende Unwissender,
wie sie auch gegen einen modernen Grabbe
ausgespielt wurde. Vielmehr sind seine
Gleichnisse von urwüchsiger Kraft und
Gewaltigkeit, und wer da von Schwulst
redet, sollte sich an Auswüchse Kleists
erinnern, der einen deutschen Ritter vom
»Bad einer Perserbraut« phantasieren lässt.
Doch für das, was Grabbe wirklich
bewegt, ist nur die Prosa die rechte
Sprachform, und hier hat er neben mancherlei
kraftgenialen Phrasen seines Napoleon doch
durchwegs, besonders im »Hannibal«, einen
ehernen, festen Ton geprägt, der sich
ganz wundervoll dem Weltgeschichts-Schritt
|